Die konzertierten Säuberungsaktionen vom Wochenende in verschiedenen Städten Irans stellen nur den jüngsten Versuch der iranischen Regierung dar, die größte nicht-muslimische religiöse Minderheit an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Darauf weist der Bahá’í World News Service hin. Die Razzien in rund 30 Wohnungen und Häusern galten Bahá’í, die studentischen Gemeindemitgliedern Hochschulbildung vermittelten. Den Bahá’í wird seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 der Zugang zu Universitäten systematisch von der Regierung verwehrt wird. „Die Konsequenzen dieser Politik wird noch Generationen zu spüren sein“, hieß es.
Insgesamt sechzehn Bahá’ì wurden nach Angaben der Internationalen Bahá’í-Gemeinde am Wochenende inhaftiert. Einer wurde sehr bald freigelassen, acht andere wurden erst vom Geheimdienst verhört und danach freigelassen. „Es liegt auf der Hand, dass die iranischen Behörden entschlossen sind, die Bahá’í-Gemeinde daran zu hindern, ihre Jugendlichen auszubilden, die vonseiten des Staates keine Chancen bekommen”, sagte Bani Dugal, Sprecherin der Internationalen Bahá’í-Gemeinde bei den Vereinten Nationen in New York. „Menschen ihr Recht auf Bildung zu verwehren, heißt, ihnen ihr Recht abzusprechen, freie und schöpferische Menschen zu sein und sich in die Gesellschaft einzubringen.“
„Diese Aktion zeigt, wie weit die iranische Regierung mit ihrer Kampagne bereit ist zu gehen, um die Bahá’í-Jugendlichen zu entmutigen, ihre Hoffnung auf Bildung zu zersetzen und die Bahá’í-Gemeinde als lebendige Gruppe innerhalb des Landes auszulöschen.“ Die Sprecherin wies ebenfalls darauf hin, dass die iranische Regierung mit dieser Politik die internationale Gesetzgebung grob missachtet. Laut Internationalem Pakt über bürgerliche und politische Rechte „soll jeder das Recht auf Meinungsfreiheit, Gewissensfreiheit und Religion“ haben.
Artikel 13 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte anerkennt „das Recht eines jeden auf Bildung“. “Höhere Bildung soll allen gleichermaßen zugänglich sein, abhängig von seiner Eignung“. Der Iran ratifizierte beide Abkommen im Jahr 1975, betonte Frau Dugal.
“Schamlose Verfolgung“
Die ersten Berichte der Verhaftungen vom Wochenende lösten Proteste von Regierungen, Nicht-Regierungsorganisationen, Menschenrechtsaktivisten und anderen aus. Die International Campaign for Human Rights in Iran (ICHRI) forderte die sofortige Freilassung der Gefangenen. ”Diese Angriffe auf das Bahá’í Institute for Higher Education muss aufhören und die Behörde sollte die kürzlich verhafteten Bahá’í sofort freilassen”, sagte Hadi Ghaemi, Sprecher des ICHRI. “Die Diskriminierung der Bahá’í im Bildungsbereich ist nur ein Teil einer fortwährenden Politik religiöser Verfolgung und eine eindeutige Verletzungen internationaler Verpflichtungen.”
Der Vorsitzende der U.S. Commission on International Religious Freedom, Leonard Leo, sagte: „Die iranische Regierung macht in seiner schamlosen Verfolgung der Bahá’í im Iran vor nichts Halt.“ “Es genügt nicht, dass die Behörden die Politik verfolgen, Bahá’í von den iranischen Universitäten auszuschließen. Jetzt versucht die Regierung systematisch, die interne Initiative der Bahá’í-Gemeinde zu zerstören, ihren Jugendlichen eine höhere Bildung zu ermöglichen.“ Durch diese Verhaftungen seien es nun fast einhundert Bahá’í, die derzeit in Haft sind. „So viele waren es seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr“, sagte Leo.
“Fortschritt und Entwicklung blockiert“
In den Jahren direkt nach der Islamischen Revolution von 1979 wurden zahlreiche junge Bahá’í aus den Bildungseinrichtungen ausgeschlossen. Auf Universitätsebene betraf dieser Ausschluss praktisch alle, Professoren wie Studierende. Der brutale Angriff auf die Bahá’í durch das neue Regime, darunter auch die Hinrichtung von mehr als 200 herausragenden Bahá’í-Gläubigen, stieß auf weitverbreitete internationale Kritik. Ergebnis waren eine Reihe von UN-Resolutionen, in denen die Menschenrechtsverletzungen des Iran verurteilt wurden. Die Regierung milderte daraufhin ihr Vorgehen und erlaubte zumindest Bahá’í-Schülern wieder, zur Schule zu gehen. Universitätsstudenten wurden jedoch weiterhin ausgeschlossen.
Die Hoffnung der Regierung, die über 300.000 Bahá’í im Iran dadurch ins Abseits zu drängen, ohne internationale Sanktionen zu riskieren, wurde durch das Aufdecken eines geheimen Memorandums bestätigt, in dem es heißt, dass „der Fortschritt und die Entwicklung“ der Bahá’í-Gemeinde unterbunden werden soll. Dieses Memorandum von 1991 ist vom obersten religiösen Führer Ali Khamenei unterschrieben und führt eine Reihe von repressiven Maßnahmen gegen die Bahá’í auf, darunter die Exmatrikulation von Studenten aus Universitäten, sobald bekannt wird, dass sie Bahá’í sind.
Bahá’í Institute for Higher Education
Es wurde ein einfacher Mechanismus angewandt, um den Bahá’í höhere Bildung vorzuenthalten. Jeder, der die nationalen Aufnahmeprüfungen für Universitäten ablegte, musste seine Religion angeben. Bewerber, die nicht zu den vier offiziellen im Iran anerkannten Religionen Islam, Christentum, Judentum und Zoroastrier gehörten, wurden abgelehnt.
In den späten 1980-er Jahren gründeten die Bahá’í ihr eigenes Bildungsprogramm, genannnt Bahá’í Institute of Higher Education (BIHE), um diese Sperre abzumildern. Bahá’í-Professoren und Lehrpersonal, die entlassen worden waren, stellten ihre Zeit und Erfahrung ehrenamtlich zur Verfügung, um Bahá’í-Studierende zu Hause und durch Fernunterricht zu unterrichten.
“Die iranische Regierung hat schon mehrfach den Versuch unternommen, diese ruhige, friedliche und lebenswichtige Initiative zu unterbinden“, erklärte Bani Dugal. 1998 nahmen Regierungsbeamte nach Razzien in über 500 Häusern mindestens 36 Personen fest und konfiszierten große Teile der BIHE-Ausstattung sowie Akten. Als Reaktion auf den darauf folgenden internationalen Druck kündete der Iran Ende 2003 an, dass er die Frage nach der Religionszugehörigkeit auf den Anmeldeformularen streichen würde. Seither behaupten iranische Regierungsbeamte, dass ihr Bildungssystem den Bahá’í offenstehe und es keine diskriminierenden Praktiken gebe.
Fortwährendes Verbot
Es wurden jedoch eine Bandbreite von Maßnahmen eingeführt, um es den Bahá’í dennoch zu erschweren, höhere Bildung zu erlangen. Darunter fielen das Sperren des Zugangs zum nationalen Computersystem und die verbreitete Praxis, Bahá’í zu exmatrikulieren, sollte es ihnen gelingen, sich an der Universität einzuschreiben.
Ein junger Bahá’í erzählte dem ICHRI vor kurzem: “Ich konnte mich noch nicht einmal als Student einschreiben: statt die Ergebnisse der Aufnahmeprüfungen zu bekommen, wurde mir der Satz ‘Ihre Unterlagen sind unvollständig’ zugesandt. Dadurch hatte ich keine Chance, mich einzuschreiben.“
Im Jahr 2006 erfolgte eine geheime Anweisung durch den Vorsitzenden des Zentralen Sicherheitsbüros des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Technik, der alle 81 staatlichen Universitäten unterstehen, womit alle Bahá’í-Studenten exmatrikuliert werden sollen. “Wenn die Identität der Bahá’í bei der Einschreibung oder während ihrer Studien bekannt wird, müssen sie exmatrikuliert werden”, heißt es in dem Schreiben.
Derartige Exmatrikulationen erfolgten in den letzten Monaten in Teheran, Yazd, Mazandaran und Isfahan. In einigen Fällen standen die Bahá’í-Studenten kurz vor ihren Abschlussprüfungen.
Ein Bahá’í, der in Yazd Maschinenbau studierte, hatte keinen Zugriff mehr auf sein Studentenkonto im Internet. Sein Name war aus dem System gelöscht worden. Das zuständige Amt, die National Education Measurement and Evaluation Organization in Teheran, informierte ihn, dass Bahá’í kein Recht auf höhere Bildung hätten. Die Bitte um eine schriftliche Erklärung für den Grund seiner Exmatrikulation wurde ihm verweigert. Da junge Bahá’í im Iran kaum andere Alternativen haben, studieren viele junge Bahá’í beim BIHE.
„Den Zugang zu Bildung zu verwehren scheint auf den ersten Blick nicht so schlimm zu sein, wie die körperlichen Angriffe auf die Gemeinde oder die Inhaftierung ihres Führungsgremiums”, sagte Bani Dugal. „Die Konsequenzen dieser Politik wird jedoch noch Generationen zu spüren sein.“ “Diese Ungerechtigkeit spiegelt die schreckliche Unterdrückung im ganzen Iran wieder. Zahlreiche junge Menschen erhalten aufgrund ihrer politischen oder religiösen Zugehörigkeit oder weil sie von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen, keine höhere Bildung“, sagte sie.
“Wir fordern für die Bahá’í im Iran und für alle anderen Opfer dieses Missbrauchs umfassenden Bürgerrechte, damit sie ihrem Herzenswunsch entsprechen und zum Fortschritt ihres Landes beitrage können.“ Die Rechte der iranischen Bahá’í jetzt zu respektieren, wäre ein Zeichen des guten Willens seitens der Behörden, die Rechte aller Bürger zu achten, so Frau Dugal
Die Namen der sechzehn Bahá’í sowie ihre Wohnorte sind wie folgt:
Afrouz Farmanbordari (Gohardasht), Foad Moghaddam (Isfahan), Vahid Mahmoudi, Vahid Mokhtari, Farhad Sedghi und Ramin Zibaie (Karaj), Amir-Houshang Amirtabar, Navid Asadi und Sadaf Sabetian (Sari), Amanollah Mostaghim (Shiraz), Mahmoud Badavam, Soheil Ghanbari, Noushin Khadem, Kamran Mortezaie und Shahin Negari (Tehran) und Danial Oji (Wohnort unbekannt). Berichten zufolgte wurde Vahid Mokhtari wieder freigelassen.