Für den unbedarften Beobachter mag es nur eine Kleinigkeit sein: die Verweigerung des Rechts auf Bildung der Bahá’í im Iran. Ist die Menschenrechtsbilanz der Islamischen Republik Iran nicht noch viel verheerender? Todesurteile, willkürliche Inhaftierungen, Vergewaltigungen und Folter von unliebsamen Menschen in Haftanstalten, dazu strukturelle Diskriminierungen und Verletzungen der Menschenrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit, Religionsfreiheit, die Rechte der Frauen… Für die religiöse Minderheit der Bahá’í – nach wie vor mit über 300.000 Anhängern die größte nicht-muslimische Minderheit des Landes – ist die Verweigerung des Rechts auf Bildung jedoch gleichbedeutend mit dem Versuch, ihre Integrität zu zerstören, sie als handlungsfähige Einheit inmitten der iranischen Gesellschaft zu eliminieren. Lässt man junge Menschen an Universitäten vor verschlossenen Türen stehen, raubt man nicht nur ihre eigenen Zukunftschancen. Dies kommt vielmehr einer schleichenden Strangulierung der gesamten iranischen Bahá’í-Gemeinde gleich.
Irans Anstrengungen, den Bahá’í den Zugang zu Hochschulbildung zu verwehren, müssen im Kontext der Gesamtbemühung der Regierung betrachtet werden, die iranische Bahá’í-Gemeinde als zusammenhängende Einheit zu zerschlagen. Dieses Vorhaben wurde in einem geheimen Memorandum zusammengefasst, das im Jahr 1991 geschrieben wurde und 1993 an die Öffentlichkeit gelangte. Es formuliert die iranische Staatsdoktrin im Umgang mit den Bahá’í, die eben diese stille Strangulierung der Bahá’í-Gemeinde zum Ziel hat. Die Maßnahmen schreiben im Wesentlichen vor, dass Bahá’í als Analphabeten und ungebildet gehalten werden sollten, auf niedrigstem Existenzniveau lebend und stets voller Angst, dass ihnen schon bei der geringsten Übertretung Inhaftierung oder auch Schlimmeres droht.
Der Aufbau des Bahá‘í Institute of Higher Education (BIHE) seit dem Jahr 1987 ist demgegenüber eine kreative und vollkommen gewaltfreie Antwort auf die repressive Politik des Irans gegenüber den Bahá’í. Die New York Times nannte BIHE einen „hoch entwickelten Akt gemeinschaftlicher Selbsterhaltung“. Jedoch: Bei konzertierten Säuberungsaktionen am Wochenende des 20./21. Mai 2011 in verschiedenen Städten Irans nahmen die iranischen Behörden fast zwei Dutzend Dozenten und Mitarbeiter dieses Bildungsnetzwerkes fest, sieben von ihnen müssen sich derzeit vor dem Revolutionsgericht in Teheran gerichtlich verantwortet – allein weil sie Bahá’í sind und sich für die Ausbildung ihrer jugendlichen Gemeindemitglieder engagierten. Ihnen wirft der Iran staatsfeindliche Handlungen vor. Am 6. Juni 2011 gab überdies die Iranian Student News Agency bekannt, dass das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Technik selbst diese eigene Anstrengung der iranischen Bahá’í, ihrer Jugend höhe Bildung zukommen zu lassen, für illegal erklärte.
Friedliche, gesetzestreue Menschen zu Staatsfeinden zu erklären, nur weil sie ihren Mitmenschen ihren rechtlich verbrieften Zugang zu Bildung ermöglichen, macht idealtypisch die Unteilbarkeit der Menschenrechte deutlich. Egal ob bürgerlich-politische Menschenrechte oder soziale, kulturelle und wirtschaftliche Rechte der Menschen verletzt werden, immer geht es um die Beschneidung ihrer „Würde und den Wert der menschlichen Person“, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt, genauso um ihre Freiheit, sich an der Entwicklung ihres Gemeinwesens zu beteiligen.
Da das Recht auf Bildung so verstanden nicht nur ein beliebiges Menschenrecht ist, sondern vor allem ein Instrument, um Menschen zu befähigen, überhaupt auch andere Menschenrechte wahrnehmen zu können, hat die Bahá’í-Gemeinde Deutschland der Verletzung des Rechts auf Bildung der Bahá’í im Iran eine Sonderseite im Internet gewidmet.
Unter dem Titel „Vor verschlossenen Türen“ finden sich Informationen und Hintergründe zum Bahá’í Institute for Higher Education (BIHE), zum derzeit stattfindenden Prozess gegen Bahá’í, die sich hierfür engagierten, sowie zu den Hintergründen der iranischen Staatsdoktrin im Umgang mit den Bahá’í. Sie finden die Seite im Internet hier.