Sündenböcke in Corona-Zeiten: Verschwörungstheorien gegen Bahai. Unter diesem Titel berichtete Frank Aheimer am 20. Juli im Deutschlandfunk über die massiv zunehmende Anzahl von Hassberichten und -artikeln gegen die Bahá’í im Iran durch staatliche und staatsnahe Medien. Als Interviewpartner dienten ihm der Beauftrage für Menschenrechtsfragen der deutschen Bahá’í-Gemeinde, Jascha Noltenius, der von der systematischen staatlichen Verfolgung bis vor Kurzem Betroffene Iraner Vargha Mehdizadeh, sowie der Beauftragte gegen Antisemitismus der Landesregierung Baden-Württemberg, Dr. Michael Blume. Dieser führte in das Thema der Verschwörungsmythen ein, das er umfassend in einem druckfrischen Sachbuch sowie einem Podcast behandelt:
„Wir sind dazu geboren, dass wir uns die Welt durch Mythen erklären. Das machen alle Menschen und die können religiös oder nicht-religiös sein. Wozu wir nicht geboren sind, ist der automatische Glaube an das Gute. Deshalb funktionieren Verschwörungsmythen tatsächlich wie eine Form der umgedrehten Religion. Verschwörungsgläubige glauben, dass sie in einer Welt leben, die von bösen Mächten beherrscht wird. Sie neigen daher auch zu Intoleranz gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten.“
Dr. Blume betont, dass die Förderung von Bildung ein maßgeblicher Faktor dafür ist, als Religionsgemeinschaft zur Zielscheibe von Verschwörungsmythen zu werden:
„Tatsächlich waren die Juden die erste Religionsgemeinschaft, die mit Alphabetschrift gearbeitet und Bildung ganz nach vorne gestellt hat. Der Begriff „Bildung“ kommt aus dem ersten Buch der Bibel. Deshalb glauben Verschwörungsgläubige praktisch immer, dass Juden da an der Spitze stehen. Auch die Bahai waren aber eine kleine aus dem schiitischen Bereich entstandene Religionsgemeinschaft, die von vornherein auf Bildung gesetzt hat. Dann wurde Baha’u’llah auch noch vom Osmanischen Reich nach Haifa, also in das heutige Israel verbannt und hat dort gewirkt. Das heißt, für ganz viele Antisemiten und Verschwörungsgläubige ist ganz klar: die sind Teil der vermeintlichen jüdisch-israelischen Weltverschwörung. Der Verschwörungsvorwurf funktioniert halt immer so, dass er auf der einen Seite einen einfachen Feind präsentiert; der wird dämonisiert, der wird entmenschlicht. Auf der anderen Seite soll er Angst wecken. Das heißt also, Menschen, die jetzt das iranische Regime beschuldigen und sagen: „Ihr habt uns gar nicht geschützt, als das Virus sich ausgebreitet hat“, die sollen damit eingeschüchtert werden. Solche Kampagnen sind bewusst bizarr gehalten. Auch muslimische Schiitinnen und Schiiten, die Kritik am iranischen Regime äußern, können natürlich blitzschnell beschuldigt werden, Teil dieser Verschwörung der Juden und der Bahai zu sein. Das macht das Ganze so gefährlich.“
Abschließend fordert Dr. Blume Religions- und Glaubensfreiheit für alle Menschen ein und deutet auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen bei Verletzung dieses grundlegenden Menschenrechts hin:
„Ganz wichtig ist es, dass Menschen die Freiheit haben müssen, auf verschiedene Weise religiös zu sein, oder auch nicht religiös zu sein. Wir sehen wo immer, das in Frage gestellt wird, da werden Sündenböcke gesucht, da werden Menschen verfolgt. Dann verlieren alle. Deshalb sollte uns auch das Schicksal der Bahá’í interessieren.“