Iranische Behörden nehmen während der Staatskrise Dutzende weiterer Bahá’í fest

Berlin, 19. November 2022 – Insgesamt 29 Bahá’í sind seit September im Iran verhaftet worden. Dies sind die jüngsten Vorfälle einer Kampagne, in der seit Ende Juli fast 300 Bahá’í von staatlichen Verfolgungsmaßnahmen betroffen sind. Währenddessen wird die iranische Regierung wegen ihrer Menschenrechtslage einer beispiellosen Kontrolle durch die Weltöffentlichkeit unterzogen.

Zehn der im September inhaftierten Bahá’í sind inzwischen gegen Kaution freigelassen worden, während mehrere weiterhin ohne ordnungsgemäßes Verfahren festgehalten werden, einige an unbekannten Orten. Von einigen Personen hat man seit ihrer Verhaftung überhaupt nichts mehr gehört.

„Während unsere Herzen beim Anblick des Leids aller Iraner in diesem Land schmerzen“, sagt Jascha Noltenius, Menschenrechtsbeauftragter der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland, „beobachten wir weiterhin die Verfolgung der Bahá’í, einer Gruppe, die nur allzu vertraut ist mit dem Unrecht, das ihnen von der Regierung angetan wird. Sie haben jahrelang Verhaftungen, Inhaftierungen, Misshandlungen und die Verweigerung von höherer Bildung und Lebensunterhalt ertragen. In den 43 Jahren ihres Leidens sind sie angesichts der ständigen Verfolgung durch eine Regierung, die mit aller Macht versucht, sie als lebensfähige Einheit im Iran zu zerstören, unerschütterlich geblieben.“

„Während die Bahá’í die heutigen Geschehnisse im Iran erleben, wissen sie, wie es sich anfühlt, unter falschen Anschuldigungen inhaftiert, verhört und misshandelt zu werden, ohne ein ordentliches Verfahren inhaftiert zu werden; um familiäre Angehörige zu fürchten und von der Kanzel oder in den Medien verleumdet zu werden, weil sie für ihren Glauben einstehen.“, fügt Noltenius hinzu. „Wir wünschen uns, dass alle Iraner in Frieden und Sicherheit leben können, dass sie Gleichheit und Gerechtigkeit genießen und dass jeder einen wertvollen Beitrag zum Fortschritt der Gesellschaft leisten kann, unabhängig von seiner ethnischen Herkunft oder seiner religiösen Überzeugung.“

Bei drei der derzeit Inhaftierten handelt es sich um ehemalige Führungspersonen der Baha’i-Gemeinde, Mahvash Sabet, Fariba Kamalabadi und Afif Naimi, die am 31. Juli zu Beginn der Sommerkampagne verhaftet wurden. Sie haben inzwischen jeweils über 100 Tage ohne Gerichtsverfahren in Haft verbracht. Die drei waren Mitglieder der ehemaligen „Yaran“ oder „Freunde Irans“, einer aufgelösten informellen Gruppe, die sich um die grundlegenden seelsorgerischen Bedürfnisse der Bahá’í-Gemeinde kümmerte und dafür 2008 für ein Jahrzehnt inhaftiert wurden. Nun wurden sie erneut inhaftiert, obwohl sie seit ihrer Freilassung im Jahr 2018 noch nicht einmal Aufgaben innerhalb der Gemeinde ausgeübt haben.

Die Bahá’í sehen sich nun auch mit einer neuen Flut von unbegründeten Behauptungen konfrontiert, zum Beispiel mit dem Vorwurf, sie würden zu Unruhen an iranischen Universitäten anstiften.

„Die unverhohlenen Lügen der iranischen Regierung täuschen weder die Iraner noch andere Mitglieder der internationalen Gemeinschaft“, so Noltenius. „Die Ironie des Vorwurfs, die Bahá’í würden Unruhen an den Universitäten schüren, ist besonders krass. Die Bahá’í-Studenten wurden seit der islamischen Revolution von 1979 systematisch von allen Universitäten und höheren Bildungseinrichtungen im Iran verwiesen oder ausgeschlossen. Dennoch werden sie jetzt beschuldigt, Universitätsproteste anzuzetteln. Es ist beschämend, zu solch lächerlichen Täuschungen zu greifen, um Angst, Misstrauen und Uneinigkeit unter den verschiedenen Teilen der iranischen Gesellschaft zu verbreiten.“

„Wie immer fährt die Regierung damit fort, ihre eigenen Versäumnisse anderen in die Schuhe zu schieben, auch den Bahá’í, anstatt sich mit den grundlegenden Herausforderungen der iranischen Gesellschaft auseinanderzusetzen und auf die Wünsche des iranischen Volkes einzugehen. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, entschlossen auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und die Verfolgung der Bahá’í im Iran zu reagieren, die einen direkten Verstoß gegen die Menschenrechtsverträge darstellen, zu denen sich der Iran rechtlich verpflichtet hat,“ ergänzt Noltenius.

Eine Auswahl weiterer Berichte über die jüngsten Vorfälle:

  • Zwei junge Männer im Alter von nur 16 Jahren wurden verhört und verprügelt. Die Teenager wurden Mitte Oktober festgenommen und mehrere Stunden lang festgehalten, ohne dass ihre Familien informiert wurden. Später wurden die Jugendlichen in ihre Wohnungen zurückgebracht, wo sie durchsucht und persönliche Gegenstände beschlagnahmt wurden, bevor die beiden wieder freigelassen wurden.
  • Ein Bahá’í, der sich aus beruflichen Gründen in Teheran aufhielt, wurde Anfang Oktober festgenommen und in das Evin-Gefängnis gebracht, von wo aus er Kontakt zu seiner Familie aufnehmen konnte. Seit dem Brand in der Einrichtung am 15. Oktober hat man jedoch nichts mehr von ihm gehört.
  • Ein Bahá’í-Ehepaar wird seit Mitte Oktober ohne ordnungsgemäßes Verfahren festgehalten und ist unter anderem wegen „Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“ und „Blasphemie“ sowie „Propaganda gegen das Regime und Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit“ angeklagt. Die Behörden weigerten sich, eine Kaution für das inhaftierte Paar zu akzeptieren.
  • Eine Bahá’í-Frau, die Ende September ohne Familienbesuch im Evin-Gefängnis festgehalten wurde, teilte ihrer Familie in einem Telefonat mit, dass ihre Haft um weitere 30 Tage verlängert werde. Der Ehemann der Frau, der kein Bahá’í ist, war ebenfalls vorgeladen und verhört worden.
  • Ein Bahá’í, der sich seit Mitte September ohne ordentliches Verfahren in Haft befindet, berichtete, dass er wegen „Propaganda gegen das Regime durch das Lehren des Bahá’í-Glaubens“, „Propaganda gegen die heilige islamische Scharia“ und „Kommunikation und Zusammenarbeit mit ausländischen Medien durch Interviews und die Übermittlung von Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen und die Aufstachelung von Menschen zu anhaltenden Protesten über den Cyberspace“ angeklagt worden sei. Außerdem wurde er geschlagen und es wurde ihm verweigert, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen. Jüngste Berichte deuten darauf hin, dass die Vernehmungsbeamten versuchten, ihm ein Geständnis abzuringen, und ihm der Zugang zu einem Anwalt verweigert wurde.
  • Aus einem weiteren Bericht geht hervor, dass ein inhaftierter Bahá’í aufgrund der Überfüllung der iranischen Gefängnisse nach vermehrten Verhaftungen zusammen mit 16 anderen in einer kleinen Zelle festgehalten wird, die kaum größer ist als eine Einzelzelle. Die Person war gezwungen, seine Frau in einem Treppenhaus des Gefängnisses zu empfangen, da kein anderer Raum zur Verfügung stand.
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