Pressekonferenz und Podiumsdiskussion mit Bundestagsabgeordneten und Zivilgesellschaft fordert Ende der Verfolgung der Bahá’í im Iran

Matthias Böhning (ISHR), Daniela Sepehri, Jascha Noltenius (Bahá'í Deutschland), Neda Soltani (HU Berlin) und Uwe Heimowski (EAD) vor der Pressekonferenz

Berlin, 7. März 2023 – Am 1. März 2023 sprachen MenschenrechtlerInnen und zwei Bundestagsabgeordnete im Rahmen einer Pressekonferenz und Podiumsdiskussion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Berlin über die Lage der Bahá’í und weiterer Minderheiten im Iran. Sie stimmten darin überein, dass die systematische Verfolgung der Bahá’í-Gemeinde im Iran sich in den vergangenen sieben Monaten noch weiter verschärft hat und unverzüglich aufhören muss.

So ordnete Matthias Böhning, Generalsekretär der International Society for Human Rights (ISHR), einführend ein: „Die Anhänger der größten religiösen Minderheit im Iran werden seit Jahrzehnten systematisch unterdrückt und aktuell erfährt die Verfolgung der Bahá’í einen neuen Höhepunkt.“

Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland konkretisierte dies wie folgt: „Am 31. Juli 2022 wurden Razzien in 51 Häusern und Geschäften von Bahá’í durchgeführt und 13 Personen alleine an diesem Tag verhaftet. Es gab dazu eine öffentliche Erklärung des Geheimdienstministeriums, dass es sich dabei um Mitglieder einer „Spionage-Partei“ handle. Unter den Verhafteten befanden sich drei Mitglieder des ehemaligen inoffiziellen Leitungsgremiums der Bahá’í-Gemeinde im Iran. Frau Mahvash Sabet und Frau Fariba Kamalabadi wurden zu zehn Jahren Haft verurteilt und Herr Afif Naeimi wurde zu sieben Jahren Haft. Bahá’í-Familien sind dadurch belastet, dass einige der Verhafteten nur gegen horrende Kautionszahlungen vorübergehend freigelassen werden. Es gab in den letzten sieben Monaten knapp 400 Verfolgungsmaßnahmen gegen Bahá’í und es betrifft die gesamte Religionsgemeinschaft. Letztlich leidet unter dieser Verfolgung nicht nur die Bahá’í-Gemeinde selbst, sondern das gesamte iranische Volk, dem der Beitrag der Bahá’í zu einem Aufbruch in eine gerechtere Gesellschaftsordnung vorenthalten wird. Deshalb fordern wir die sofortige Freilassung aller, nur wegen ihres Glaubens inhaftierten Bahá’i, die Einstellung ihrer Strafverfahren und die Aufhebung dieser Willkürurteil. Wir hoffen, dass sich nicht nur die deutsche Zivilbevölkerung, sondern auch die Bundesregierung nachhaltig und nachdrücklich dafür einsetzt.“

Die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag, Renata Alt, sprach in einem Videostatement anhand des Falles Payam Vali, für den sie eine politische Patenschaft übernommen hat, über die Verfolgung der Bahá’í: „Die Bahá’í werden im Iran seit langem diskriminiert und verfolgt. Ein Beispiel dafür ist das Schicksal von Payam Vali, für den ich Anfang des Jahres die Patenschaft übernommen habe. Er war Hersteller von Brillengläsern. Die Behörden schlossen bereits 2008 sein Unternehmen – nur wegen seiner religiösen Überzeugung. Jahrelang hat er vergeblich versucht, auf dem Rechtsweg sein Eigentum zurückzubekommen. Vor fünf Monaten wurde er verhaftet, weil er die Diskriminierung der Bahá’í öffentlich gemacht hat. Nun erreichte mich die Nachricht, dass er zu 10 Jahren Haft und 6 Jahren auf Bewährung verurteilt wurde. Danach soll er für 2 Jahre verbannt werden. Dieses drakonische Urteil ist durch nichts gerechtfertigt. Ich fordere, das Urteil in der Revision aufzuheben und Herrn Vali freizulassen. Die staatliche Diskriminierung der Bahá’í durch das islamische Regime muss aufhören.“

Auch der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit und Bundestagsabgeordnete Markus Grübel fand erneut deutliche Worte: „Ich habe eine politische Patenschaft für Fariba Kamalabadi und Mahvash Sabet übernommen, weil sie als Mitglieder der Bahá‘í-Gemeinde im Iran besonders unter der Diskriminierung und Verfolgung religiöser Minderheiten durch die „Islamische Republik“ zu leiden haben. Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass diese beiden mutigen Frauen bereits zum zweiten Mal in Haft genommen wurden, nachdem sie bereits zehn Jahre im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert waren – und dies aus einem einzigen Grund: weil sie Bahá’í sind.“

Martin Lessenthin verwies als Vorstandssprecher auf das erfolgreiche Wirken der IGFM zum Schutz verfolgter religiöser Minderheiten: „Glaubensgefangene in Staaten wie Iran und Pakistan sind oft wenig bekannt und bedürfen unseres besonderen Engagements, gerade auch durch Patenschaften. So konnten erst kürzlich im Iran die Bahá’í-Gefangenen Ayda Rasdi und Elmira Rahmani aus dem Gefängnis entlassen werden.“

Die medial-präsente Menschenrechtsaktivistin Daniela Sepehri beschrieb ihren Prozess der Vermittlung politischen Patenschaften wie folgt: „Uns war von Anfang an klar, wir müssen auch einen Blick auf die Bahá’í haben, als größte religiös-marginalisierte Gruppe. Ich konnte plötzlich nicht mehr atmen, als ich den Bericht der Menschenrechtsorganisation HRANA gesehen habe. Von den dokumentierten Menschenrechtsverletzungen aufgrund der Religion im Jahr 2022 waren 65% der Verbrechen an Angehörigen der Bahá’í-Gemeinde. Also das ist wirklich enorm viel. (…) Bei einer Familie trifft es selten eine einzelne Person, sondern dann geht die ganze Familie ins Gefängnis. Einfach nur aufgrund der Tatsache, dass sie nicht die Religion haben, die das Regime als einzig wahre Religion anerkennt. (…) Elmira ist Cellistin und durfte nicht am Orchester spielen, weil sie der Bahá’í-Gemeinde angehört. Ihr Leben war also nicht erst durch die Verhaftung geprägt von Diskriminierung aufgrund ihres Glaubens, sondern vorher schon, unmittelbar in ihrem Alltag, in der Berufsausübung.“

Anschließend ordnete die Referentin für gefährdete Forschende der Humboldt-Universität Berlin, Neda Soltani, die Lage der Bahá‘í ein: „Als größte religiöse Minderheit im Iran werden die Bahá’í in der Wahrnehmung ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Rechte, aber auch in der Ausübung ihrer Religion stark behindert. Das steht im Gegensatz zu Vereinbarungen des UN-Zivilpaktes, den auch das Regime im Iran unterschrieben und ratifiziert hat. Seit über 40 Jahren versucht das Regime im Iran die Bahai durch willkürliche Inhaftierungen, Hasspropaganda in den Medien, wirtschaftliche Unterdrückung, auch durch die Verweigerung von Hoschulbildung aus der Gesellschaft auszuschließen. Die Behörden stützen sich dabei auf ein vom Obersten Führer Ali Khamenei unterzeichnetes Regierungsmemorandum, das von den Vereinten Nationen offengelegt wurde und anordnet, dass die Bahá’í von den Universität verwiesen werden müssen, entweder während des Aufnahmeverfahrens oder während des Studiums, sobald es bekannt wird, dass sie Bahai sind. Jeder der versucht, sein Recht auf Bildung  zu realisieren, wird ebenfalls mit harten Maßnahmen getroffen, Dazu gehören Mahvash Sabet, Fariba Kamalabadi und Afif Naeimi. Mahvash Sabet war Rektorin einer staatlichen Schule, bevor die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Bahá’í-Religion entlassen wurde. Über 15 Jahre war sie Rektorin des Bahai Institute for Higher Education, das gegründet wurde um den Bahá’í Hoschulbildung zu ermöglichen. Von 2007 bis 2017 war sie inhaftiert. Frau Fariba Kamalabadi studierte acht Jahre am BIHE und war als Entwicklungspsychologin tätig. Sie wurde auch von 2007 bis 2017 inhaftiert.“

Die Pressekonferenz wurde abgerundet durch eine Stellungnahme des politischen Beauftragten der gastgebenden Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD), Uwe Heimowski, der die Solidarität von Religionsgemeinschaften einforderte: „Wir müssen als Vertreter von anderen Religionsgemeinschaften, in unserem Fall als Christen an der Seite (der Bahá’í) stehen. Weil es hier nicht um die Frage geht, wie lebt die Bahá’í-Gemeinschaft. Sondern es geht um die Frage, was ist ein Mensch? Und ein Mensch ist ein Mensch, der das Recht seinen eigenen Glauben, sein eigenes Gewissen zu haben. Die Bahá’í brauchen die Solidarität der Politik, aber auch der anderen Religionsgemeinschaften und all derer, die dafür einstehen, dass Menschen eine Würde haben.“

Auf dem anschließenden, von Shila Meyer-Behjat moderierten Podium ergänzte Kamal Sido, Referent für ethnische und religiöse Minderheiten der Gesellschaft für bedrohte Völker: „Für mich ist jede Zivilisation, jede Partei, jede Gruppe daran zu messen, wie sie mit den eigenen Minderheiten umgehen. Ich bin selbst Moslem und der Islam wird oft als Religion des Friedens bezeichnet. Aber eigentlich sollte man zu den Bahá’í sagen: die Religion des Friedens. Eine Religion, die sehr friedlich ist, niemandem etwas antut, die wollen lernen, die Gesellschaft vorantreiben. Über diese Religion, über die Menschen sollte man reden und sich für die Freiheit dieser Menschen einsetzen. Ich als Moslem, als Sunnite, als Menschenrechtsorganisation, als Gesellschaft für bedrohte Völker, setze mich seit vielen Jahren für die Menschenrechte der Bahá’í ein und das müssen wir weiterhin machen, auch in dieser Zeit.“

Neda Soltani ging dann auf ihre persönliche Kindheitserfahrung aus dem Iran ein: „Im Fall der Bahá’í fängt die Verletzung des Rechts auf Bildung in Schulen an, mit dem Versuch, Kinder aus Bahá’í-Familien zum Islam zu konvertieren. Wenn das nicht funktioniert, werden sie als Feinde behandelt. Das weiß ich als jemand der selbst im Iran aufgewachsen ist, in Schiras, wo es eine große Bahá’í-Gemeinde gibt. Wir hatten Nachbarn, deren Tochter uns playdate war, mit der ich immer gespielt habe. Die Beziehung auf einer menschlichen Ebene war total normal. Es gab keinen Unterschied zwischen mir und dieser Freundin. Aber es war ein Thema, das in der Öffentlichkeit immer leise behandelt wurde. Wir waren befreundet, aber wir haben darüber nicht geredet. Jetzt ist die Lage im Iran so, dass die Menschen im Iran, sich für die Rechte der Bahá’í einsetzen und sich fragen: warum werden sie verfolgt? Hier haben wir eine Gemeinschaft, die länger als das Islamische Regime zu uns gehören. Wir sind zusammen das iranische Volk.“

Am Ende des Abends verblieb also diese Erkenntnis, dass die gesamte iranische Gesellschaft unter der systematischen Verfolgung der Bahá’í leidet und sich daher zunehmend für deren Menschenrechte einsetzt; ebenso wie Menschenrechtsorganisationen, Religionsgemeinschaften und Parlamentarier in Deutschland und weltweit. 

Daniela Sepehri und Jascha Noltenius werden am heutigen 7. März ab 18:30 Uhr erneut über Menschenrechte im Iran sprechen, insbesondere hinsichtlich der Lage von Frauen und religiösen Minderheiten. Diesmal auf Einladung der CDU Berlin-Lankwitz, bei der man sich unter buero@lankwitz-friderici.de für die öffentliche Veranstaltung in der Leonorenstr. 37-39 anmelden kann. 

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