Berlin, 27. Juni 2024 – Im Rahmen eines parlamentarischen Frühstücks, zu dem Peter Heidt, menschenrechtspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, einlud, sprachen heute die Sachverständigen Mariam Claren (Hawar.help), Wenzel Michalski (Human Rights Watch) und Dr. Alexander Schwarz (ECCHR) sowie Jascha Noltenius, Menschenrechtsbeauftragter der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland über die Verfolgung der Bahá’í im Iran. Den 50 Zuhörenden wurde ein aktueller Bericht von Human Rights Watch ausgehändigt, demzufolge die Verfolgung der Bahá’í im Iran als völkerstrafrechtliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuordnen ist. Die Gründe für diese Einordnung und die Folgerungen daraus, wurden in dem Fachgespräch erörtert.
Zunächst begrüßte Peter Heidt die Gäste mit dem Hinweis, „dass auch Angehörige religiöser Minderheiten im Iran Repressionen ausgesetzt sind, ist angesichts der Proteste und der Brutalität mit der das Regime in den vergangenen anderthalb Jahren versucht hat, diese zu unterdrücken, etwas aus dem Blick geraten. Einen besonderen Fokus werden wir deshalb heute auf das Schicksal der größten nicht-islamischen religiösen Minderheit, die Bahá’í legen. Anders als Christen, Juden und andere religiöse Minderheiten werden die Bahá’í in Artikel 13 der iranischen Verfassung nicht als anerkannte religiöse Minderheit geschützt. Ihre systematische Verfolgung durch die Islamische Republik ist im iranischen Recht verankert und offizielle Regierungspolitik.“
Mariam Claren, Leiterin des Iran-Projektes bei der Menschenrechtsorganisation Hawar.help, erklärte: „Insbesondere sehen wir diese Repressionen gegenüber Angehörigen der Bahá’í-Gemeinde, die nicht nur ihrer sämtlichen sozialen Rechte beraubt werden, sondern sie auch mit der Geburt kriminalisiert werden. Das heißt sie entscheiden sich gar nicht, politisch zu sein, oder gegen das System zu sein, sondern von ihrer Geburt an, sind sie schon schuldig, werden verfolgt. Wir hatten jetzt gerade den 41. Jahrestag der Hinrichtung von 10 Bahá’í-Frauen in Shiraz. Letztes Jahr hat die Bahá’í-Gemeinde eine sehr schöne Kampagne #OurStoryIsOne dazu gestartet und es wird viel zu wenig in Richtung der Bahá’í geschaut. Ich bin froh, dass Human Rights Watch sich der Sache so tief angenommen hat und vor einigen Monaten zu der Erkenntnis kam: das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“
Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch beschrieb die Verfolgung als „diskriminierende Gesetze und politische Maßnahmen, die sich ausdrücklich gegen die Bahá’í richten.“ Human Rights Watch habe festgestellt, „dass die Rechte der Bahá’í in vielfältiger Weise verletzt werden. Zum Beispiel halten die Behörden die Bahá’í willkürlich fest, verhaften sie, beschlagnahmen ihren Besitz, schränken ihre Bildung- und Beschäftigungsmöglichkeiten ein und verweigern ihnen sogar ein würdiges Begräbnis. Die iranischen Behörden berauben die Bahá’í in fast allen Lebensbereichen ihrer Grundrechte und das nicht aufgrund ihrer Handlungen, sondern einzig aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft. Es ist also von entscheidender Bedeutung, dass Deutschland und andere Länder den internationalen Druck auf den Iran erhöhen, um diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Ende zu setzen. (…) Aus diesen Gründen ruft Human Rights Watch Deutschland und die anderen UN-Mitgliedsstaaten auf, sich dafür einzusetzen, dass die Verantwortlichen für die Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, etwa durch Ermittlungen und Strafverfolgungen im eigenen Land, nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit; also dem auch in Deutschland geltenden Weltrechtsprinzip, das besagt, dass Straftäter auch in Deutschland vor Gericht gestellt werden können, auch wenn sie keine deutschen Staatsangehörigen sind und ihre Straftaten nicht in Deutschland begangen haben.“
Dr. Alexander Schwarz, stellvertretender Leiter der Abteilung Völkerstrafrecht im European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) erklärte, warum die Unterdrückung der Bahá’í als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form der Verfolgung einzuordnen ist: „Menschen, die Opfer von Verfolgungstaten werden, werden aufgrund ihrer Identität angegriffen. Genau das, geschieht hier bei den Bahá’í, als religiöse Minderheit. (…) Es ist ganz wichtig, deutlich zu machen, dass die Bahá’í nicht nur aufgrund ihrer religiösen Identität, sondern eben auch weibliche Bahá’í aufgrund ihres Geschlechts eine Form von Doppeldiskriminierung erfahren. (…) Wichtig wäre, dass die Bundesanwaltschaft ein Strukturermittlungsverfahren beginnt.“ Auf Nachfrage sagte er: „Man muss natürlich erstmal vor die Welle kommen. (…) Aber man kommt nur vor die Welle, wenn man tatsächlich auf Ebene der Strafverfolgungsbehörden rechtzeitig Informationen sammelt, kooperiert, Strukturermittlungsverfahren führt, die dann in dem Moment, wo eine Person das Territorium betreten hat, innerhalb der kurzen Zeit, die diese Person hier aufhältig ist, tatsächlich zu einem Haftbefehl führen können.“
Jascha Noltenius zitierte eingangs Prof. Heiner Bielefeldt, der die Unterdrückung der Bahá’í im Iran als damaliger UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit als „Verfolgung von der Wiege bis ins Grab und darüber hinaus“ beschrieb. Denn Bahá’í würden nicht nur in jedem Lebensbereich systematisch diskriminiert, sondern auch in ihrem Recht auf eine würdige Bestattung behindert. Noltenius sprach von einer „wirtschaftlichen Apartheid durch die behördliche Beschlagnahmung von Wertgegenständen bei Hausdurchsuchungen, aber auch durch die Enteignung von Grundstücken, ganzer landwirtschaftlicher Betriebe in den vergangenen Monaten.“ Auch er ging auf die von Dr. Schwarz dargelegte Intersektionalität ein, indem er darlegte, dass zwei Drittel der zuletzt inhaftierten und verurteilten Bahá’í Frauen waren: „Das sind oft junge Mütter, die dann ins Gefängnis kommen und ihre Kinder zurücklassen müssen und dadurch sind ganze Familien betroffen. Es ist so, dass jeder Bahá’í, der im Iran lebt von dieser Verfolgung betroffen ist.“
In der Fragerunde gingen Mariam Claren und Jascha Noltenius noch auf eine Erklärung ein, die zehn weibliche politische Gefangene im Iran – darunter die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi und die deutsche Staatsbürgerin Nahid Taghavi – kürzlich an die Öffentlichkeit gebracht haben. Darin solidarisieren sich die Unterzeichnerinnen mit den verfolgten Bahá’í, von denen sie manche als Zellengenossinnen im berüchtigten Evin-Gefängnis kennen. Noltenius hob den Mut und die Opferbereitschaft dieser zehn Frauen hervor, angesichts der Bestrafung die auf solche Solidaritätsbekundungen folgen können. An diesem beeindruckenden Beispiel zeige sich, dass die iranische Zivilgesellschaft näher zusammengerückt sei und dass wir in Deutschland nun ebenfalls in der Pflicht stünden, uns für die Beendigung der Bahá’í-Verfolgung nachdrücklich einzusetzen.