Berlin, 22. November 2024 – Vor elf Jahren wurde Ataollah Rezvani, ein Bahá’í-Mann im Iran, in seinem Auto brutal ermordet, weil er der größten religiösen Minderheit im Iran, dem Bahá’í-Glauben, angehörte. Ein Attentäter schosss ihm vorsätzlich in den Hinterkopf. Bereits zuvor musste Rezvani monatelang körperliche Drohungen ertragen. Er war ein Vater von zwei Kindern und erst 52 Jahre alt, als er am 22. August 2013 in der Nähe des Bahnhofs Bandar Abbas in der Provinz Hormozgan tot in seinem Auto aufgefunden wurde.
Elf Jahre später, am 22. Oktober 2024, erging endlich ein Urteil der Abteilung 1 des Strafgerichts in Hormozgan, das bestätigte, dass Herr Rezvani tatsächlich Opfer eines vorsätzlichen Mordes war. Das Urteil besagt, dass der mutmaßliche Täter inzwischen verstorben ist. Dadurch ist es gerichtlich anerkannt, dass die Behörden die Identität des Mörders kannten und die Person dennoch niemals angeklagt und verurteilt wurde.
Durch das Gerichtsurteil wird der Familie Rezvani nun die von ihr eingeforderte Gerechtigkeit verweigert. Denn ihr Antrag auf finanzielle Entschädigung für den Mord wurde abgewiesen und das Gericht begründete dies ausdrücklich damit, dass Rezvani Bahá’í war.
Dies widerspricht dem iranischen Recht, demzufolge Angehörigen von Mordopfern ein Entschädigungsanspruch zusteht, der sich gegen den Täter oder, wenn der Täter unbekannt oder verstorben ist, gegen den Staat richtet.
Das Gerichtsurteil kommt zu einem Zeitpunkt, an dem der iranische Vizepräsident für strategische Angelegenheiten, Mohammad Javad Zarif, im Internet dieselben abgedroschenen und fadenscheinigen Behauptungen wiederholte, dass die Islamische Republik die Rechte religiöser Minderheiten respektiere.
Die Bahá’í International Community (BIC) erklärte damals, der Mord sei religiös motiviert, und forderte die iranische Regierung auf, die Täter vor Gericht zu stellen. Zahlreiche internationale Regierungen und zivilgesellschaftliche Gruppen verurteilten den Mord ebenfalls, als er zuerst gemeldet wurde, und forderten die iranische Regierung auf, den Fall zu verfolgen.
Herr Rezvani war ein beliebter und örtlich angesehener Bahá’í, der sich in der Region Bandar Abbas für soziale Zwecke engagierte. Die Menschenrechtsorganisation HRANA berichtete im Jahr 2021, dass die Ermordung von Herrn Rezvani möglicherweise von Agenten des Geheimdienstes und der Sicherheitsbehörden im Auftrag regionaler Beamter verübt wurde, die über Herrn Rezvanis Dienste für die örtliche Bevölkerung verärgert waren.
„Es hätte niemals zu dem Mord an Ataollah Rezvani kommen dürfen. Aber zumindest hätte sein Mörder eine harte Strafe für seine vorsätzliche Tat erhalten müssen“, sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. „Herr Rezvani wurde getötet, weil er ein Bahá’í war – genau solche Angriffe treten auf, wenn eine Regierung ihre Bevölkerung mit Hassreden gegen eine Minderheit überschüttet.“
Die Witwe und die Kinder von Ataollah Rezvani suchen seit über einem Jahrzehnt Gerechtigkeit für den skrupellosen Mord an ihrem Vater. Unermüdlich forderten sie Untersuchungen, Gerichtsverhandlungen und Entschädigung und widerstanden dem Druck der Behörden, ihren Fall und ihre Forderungen fallen zu lassen. Dieses jüngste Gerichtsurteil macht den Grund für die jahrelange juristische Verschleierung deutlich – er war ein Bahá’í.
„Denken Sie einmal darüber nach,“ so Noltenius weiter: „Ein Bahá’í wird wegen seines Glaubens ermordet. Seine Familie sucht nach Gerechtigkeit, aber diese Gerechtigkeit, wird ihnen verweigert, wiederum wegen ihres Glaubens. Welche Botschaft sendet die iranische Regierung an ihre Bevölkerung? Wertet sie damit nicht ausdrücklich die Menschlichkeit ihrer Bürger ab? Ihr Leben und ihre bloße Existenz? Und bekräftigt dies nicht ein weiteres Mal, dass Gewalt gegen Bahá’í ungestraft bleiben kann?“
„Die Regierung hat einer unschuldigen Familie doppeltes Unrecht zugefügt“, fügt Noltenius hinzu. „Erstens, indem sie es versäumt hat, den Mord an Ataollah Rezvani, einem Vater und Ehemann, der wegen seines Glaubens getötet wurde, zu untersuchen, und dann, indem sie seiner Familie Gerechtigkeit und eine gesetzliche Entschädigung verweigert hat, wiederum wegen ihres Glaubens. Einen geliebten Menschen wegen dieses Hasses zu verlieren, ist schon verheerend genug: dann auch noch einem Justizsystem ausgesetzt zu sein, das einen wegen seines Glaubens entmenschlicht, ist eine zweite und noch schmerzhaftere Wunde.“
In dem Gerichtsentscheidung heißt es, dass „in Anbetracht der Tatsache, dass (…) das Opfer der Sekte des Bahaismus angehörte“ und „gemäß Artikel 13 der Verfassung die iranischen Zoroastrier, Juden und Christen die einzigen anerkannten religiösen Minderheiten sind, die sich innerhalb der Grenzen des Gesetzes befinden (…) und die Sekte des Bahaismus von der Einbeziehung in diesen Artikel der Verfassung ausgenommen ist (…) das Gericht entscheidet, den Antrag der [Kläger] auf Zahlung von Blutgeld [finanzielle Entschädigung] aus öffentlichen Mitteln abzulehnen.“
Das Urteil ist ein erneuter Beweis dafür, wie die Verfolgung der iranischen Bahá’í-Gemeinde im iranischen Recht institutionalisiert ist. Die Bahá’í werden aus allen Lebensbereichen ausgeschlossen und haben keinerlei Möglichkeiten, im Justizsystem der Islamischen Republik Gerechtigkeit zu finden oder menschenrechtliche Ansprüche geltend zu machen.
Mit der schriftlichen Erklärung, dass der Grund für die Blockierung des Rechtsanspruchs der Familie auf finanzielle Entschädigung für den Mord ihr religiöser Glaube sei, hat die Islamische Republik erneut ihre Staatsdoktrin der Unterdrückung und Verfolgung der Bahá’í im Iran bestätigt.
„Das Gerichtsurteil erinnert uns daran, dass die Verfolgung der Bahá’í im iranischen Recht verankert ist, das Verbrechen gegen die Bahá’í völlig ungestraft zulässt“, sagt Noltenius. „Wir müssen mit ansehen, dass das Leben der Bahá’í für die Islamische Republik weniger wert ist als das Leben anderer. Und die Bahá’í genießen keines der Rechte, die die iranische Verfassung anderen Bürgern garantiert.“
Im Laufe der Jahre tauchten Berichte auf, aus denen hervorging, dass lokale Beamte, anstatt den Mordfall zu verfolgen, die Ermittlungen hinauszögerten und zu sabotieren versuchten – und die Bemühungen der Familie und der Freunde von Herrn Rezvani, den Fall vor Gericht zu bringen, ignorierten. Ein erstes Verfahren wurde abgewiesen, und das jüngste Urteil folgt auf eine Anordnung aus dem Jahr 2021 zur Wiederaufnahme des Verfahrens.
„Was für ein Justizsystem hält sich für gerecht, wenn es hinnimmt, dass ein unschuldiger Mann einzig wegen seines Glaubens vorsätzlich ermordet wird?“ fragt Noltenius. „Welche Art von Strafverfolgungsbehörden ermöglicht nicht nur einen Mord, sondern unterlässt es dann auch noch, diesen zu untersuchen und den Mörder anzuklagen? Und was für ein Gericht beobachtet die 11-jährige Suche einer Familie nach Gerechtigkeit – angesichts eines erwiesenen Mordes durch einen identifizierten Mörder – und entscheidet, dass die religiösen Überzeugungen der Familie des Opfers ein ausreichender Grund sind, ihnen ihr Recht zu verweigern?“
„Die iranische Justiz sollte dieses schamlose Urteil unverzüglich aufheben – und der Familie von Herrn Rezvani die Würde zugestehen, sein Leben zumindest in Form einer Entschädigung anzuerkennen“, ergänzt Noltenius. „Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Gewalt gegen die Bahá’í hingenommen wird, dass ihr Leiden ignoriert wird und dass ihr Leben in den Augen des Staates unsichtbar gemacht wird. Diese institutionalisierte Grausamkeit sollte jeden Menschenrechtsverteidiger alarmieren.“
Ermordung von Ataollah Rezvani: ein Zeitstrahl
- 24. August 2013: Ataollah Rezvani, ein bekannter Bahá’í aus Bandar Abbas, Iran, wird tot in seinem Auto in der Nähe des Bahnhofs der Stadt gefunden. Ihm war in den Hinterkopf geschossen worden.
- 25. August 2013: Der Bahá’í World News Service berichtet über die Ermordung von Herrn Rezvani und äußerte die Sorge, dass das Verbrechen aufgrund seines Glaubens religiös motiviert war.
- 27. August 2013: Die BIC veröffentlicht eine Erklärung, in der sie die iranischen Behörden auffordert, den Mord an Rezvani gründlich zu untersuchen und die Täter vor Gericht zu stellen.
- September 2013: Regierungen und Menschenrechtsorganisationen verurteilen den Mord und fordern eine unabhängige Untersuchung.
- Oktober 2013: Berichte zufolge versuchten die Justizbehörden die Ermittlungen zum Mord an Herrn Rezvani abzuschließen, ohne die Täter zu identifizieren oder strafrechtlich zu verfolgen.
- August 2016: Drei Jahre nach dem Mord veröffentlicht Justice for Iran einen Bericht, in dem die mangelnden Fortschritte bei den Ermittlungen und der anhaltende Druck auf die Familie von Herrn Rezvani kritisiert wurden.
- April 2021: Nach acht Jahren juristischer Hindernisse und Verzögerungen wird der Mordfall zur erneuten Verhandlung an die Abteilung 6 der Staatsanwaltschaft von Bandar Abbas verwiesen.
- Oktober 2024: Die Abteilung 1 des Strafgerichts der Provinz Hormozgan bestätigt, dass der Mord an Herrn Rezvani vorsätzlich begangen wurde, verweigert seiner Familie jedoch eine finanzielle Entschädigung und begründet dies mit ihrem Bahá’í-Glauben.