Ägypten als gefährliche neue Front: Bahá’í International Community besorgt über die Verfolgung der Bahá’í durch ägyptische Behörden

Genf, 22. November 2024 – Angesichts einer alarmierenden Eskalation veröffentlichte die Bahá’í International Community (BIC) eine Erklärung (Englisch / Arabisch), in der sie ihre Besorgnis über die systematische Verfolgung der religiösen Minderheit der Bahá’í durch ägyptische Behörden zum Ausdruck bringt. Die mehreren Tausend Bahá’í in Ägypten sehen sich Schikanen, der Verweigerung von Bürgerrechten, Familientrennungen und einer umfassenden Überwachung durch staatliche Sicherheitsbehörden ausgesetzt.

„Heute unternimmt die BIC den bedeutenden Schritt, unsere tiefgehende Besorgnis über sechs Jahrzehnte der Diskriminierung und Verfolgung der ägyptischen Bahá’í-Gemeinde öffentlich zu äußern, eine Situation, die sich fortlaufend verschlimmert“, sagt Dr. Saba Haddad, BIC-Vertreterin bei den Vereinten Nationen in Genf.

„Die Politik und Maßnahmen, der ägyptischen Behörden gegen die Bahá’í haben zahlreichen Gemeindemitgliedern im ganzen Land erhebliches Leid zugefügt, mit dem klaren Ziel, ihre Identität und grundlegenden Bürgerrechte zu unterdrücken“. Dr. Hadad fügt hinzu: „Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die Behörden die Absicht haben, ihr bedauerliches Vorgehen zu ändern.“

Dr. Haddad erklärt: „Es ist überraschend, dass, während mehrere Länder in der Region sich aktiv für die Förderung von Koexistenz und der Staatsbürgerschaft einsetzen und dabei echte Fortschritte erzielen, die Anerkennung verdienen, wir in Ägypten –  einem Land, das traditionell eine führende Rolle in der Region gespielt hat – eine systematische Zunahme der Verfolgung von Bahá‘í-Bürgern aufgrund ihres Glaubens beobachten. Diese Situation steht im Widerspruch zu Ägyptens Status und seinen erklärten Zielen.“

Sie fügte hinzu: „Die Geschichte der Bahá’í in Ägypten reicht bis ins Jahr 1868 zurück. Sie sind ägyptische Bürger, die lediglich den Wunsch haben, friedlich in ihrem Heimtland zu leben sowie ihrer Nation und ihren Mitbürgern zu dienen. Ist es in einem Land, das so reich an Erbe ist wie Ägypten, vorstellbar, dass offizielle Stellen jahrzehntelang Männer, Frauen und Kinder in Städten und Dörfern ins Visier nehmen, nur weil sie einen anderen Glauben haben? Die ägyptische Regierung muss dieses Unrecht korrigieren und sofort alle ungerechten Beschränkungen aufheben – und ihre Partner in der internationalen Gemeinschaft sollten sie dazu drängen.“

Die Menschenrechtslage in Ägypten wird im Januar 2025 im Rahmen des Universal Periodic Review (UPR) durch den UN-Menschenrechtsrat in Genf überprüft. Die BIC appeliert an die Mitglieder des Menschenrechtsrates, die Lage der Bahá’í gegenüber der ägyptischen Regierung zur Sprache zu bringen und nach konstruktiven Lösungen zu suchen, um diesen Misstand zu beheben der das Ansehen und den Ruf Ägyptens in der internationalen Staatengemeinschaft beschädigt.

Jahrzehntelange Diskriminierung – und zunehmende Angst vor noch Schlimmerem

Die ägyptischen Bahá’í leiden seit 65 Jahren unter umfassender staatlich geförderter Diskriminierung. Dazu gehören der Entzug von Bürgerrechten, der eingeschränkte Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, erschwerter Zugang zu Bildung und Beschäftigung, Abschiebungsandrohungen und die erzwungene Trennung von Familienmitgliedern, die Verweigerung des Zugangs zu Friedhofsflächen und die Aberkennung ihrer religiösen Identität.

Neue systematische Hindernisse für Familien- und Bürgerrechte

In diesem Jahr wurden bereits mehrere gravierende Fälle von Diskriminierung gegen die Bahá’í in Ägypten gemeldet. Einige Bahá’í sehen sich durch zunehmende Schikanen und Überwachungsmaßnahmen durch nationale Sicherheitsbehörden massiv unter Druck gesetzt, während die Behörden die rechtliche Anerkennung der Bahá’í-Eheschließung verweigern.

Jüngste Regierungsmaßnahmen haben frühere Gerichtsurteile aufgehoben, die verheirateten Bahá’í-Paaren eine begrenzte Anerkennung ihrer Ehen gewährten, was erhebliche zivilrechtliche und wirtschaftliche Folgen nach sich zieht. Eine für ungültig erklärte Ehe entzieht den Eheleuten den rechtlichen Status, den sie für Renten, Erbschaften, Unterhalt, Sorgerecht und Aufenthaltsgenehmigungen benötigen.

Ein Beispiel betrifft eine ägyptische Bahá’í-Großmutter, die mit einem Nicht-Ägypter verheiratet ist. Die Nichtanerkennung ihrer Ehe, hat sie und ihre Familie um grundlegende Rechte und Sicherheit gebracht. In ihren offziellen Dokumenten wird sie weiterhin als „ledig“ geführt, obwohl sie rechtmäßig verheiratet ist. Dadurch konnte sie weder die Staatsbürgerschaft für ihre Kinder sichern noch ihnen ein Erbe hinterlassen. „Ich habe Jahrzehnte damit verbracht, Ägypten zu dienen und zur Stärkung der Gemeinschaft beizutragen“, sagt die Frau, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte. „Es schmerzt mich als Mutter und Großmutter, dass auf meinen offiziellen Dokumenten das Wort ‚ledig‘ steht, weil man sich all die Jahre geweigert hat, meinen Antrag zu bearbeiten, obwohl man genau weiß, dass ich rechtmäßig verheiratet bin. Infolgedessen konnte ich die bürgerlichen und verfassungsmäßigen Rechte meiner Kinder nicht sichern und ich werde ihnen kein Erbe hinterlassen können.“ Dadurch, dass ihren Kindern die ägyptische Staatsbürgerschaft verweigert wird, sind sie nicht nur mit der Unsicherheit konfrontiert, je eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, sondern müssen zudem befürchten, abgeschoben zu werden. „Das Schlimmste für mich ist die Vorstellung, dass meine Kinder nicht mehr da sein werden, um sich um mich zu kümmern, wenn ich alt bin“, sagt die Frau. „Ich habe Angst, ganz allein gelassen zu werden. Wir werden wie Kriminelle behandelt.“

Eine andere Bahá’í-Frau weist auf den zusätzlichen Druck hin, der sich aus dieser diskriminierenden Politik gegenüber den Bahá’í ergibt und schildert, wie diese Politik zahlreiche kulturelle Herausforderungen schafft. „Es belastet mich zutiefst, dass meine Mutter mit diesem gesellschaftlichen Stigma leben muss, weil man sich weigert, ihre Ehe in ihren offiziellen Papieren zu dokumentieren, nur weil sie eine Bahá’í ist. Stellen Sie sich eine Frau vor, die zwar rechtlich verheiratet ist, deren Papiere aber aufgrund diskriminierender Praktiken etwas anderes ausweisen“, sagt die Frau. „Aufgrund ihrer Kultur reagieren Ägypter sehr empfindlich auf die Vorstellung, dass alleinstehende Frauen Kinder haben, und unterstellt ihnen oft unangemessenes Verhalten.“

Die Auswirkungen dieser Schikanen auf den Lebensunterhalt und das materielle Wohlergehen der Bahá’í sind ebenfalls ein wachsendes Problem für die Gemeinschaft. „Hindernisse bei der beruflichen Entwicklung aufgrund unseres Glaubens haben mich fast ein Jahrzehnt lang daran gehindert, zu arbeiten“, beschreibt ein Bahá’í, „so dass ich finanziell kämpfen muss, um meine Kinder zu versorgen.“

Ein weiterer extremer Fall betrifft eine nicht-ägyptische Bahá’í, die seit über einem Jahrzehnt mit einem Ägypter verheiratet ist. Nach einem Besuch in ihrem Heimatland wurde ihr die Wiedereinreise nach Ägypten verweigert. Obwohl sie alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllte, wurde ihr mitgeteilt, dass ihre Ehe ungültig sei, und ihr wurde ein ägyptisches Einreisevisum verweigert. Sieben Monate lang war sie deswegen von ihrem Mann und ihren kleinen Kindern getrennt. 

Einer anderen Bahá’í-Frau, die als Ausländerin mit einer ägyptischen Mutter eingestuft wurde, wurde die Staatsbürgerschaft verweigert, weil ihre Eltern Bahá’í sind, und stattdessen wurde ihr nur eine Ausnahmegenehmigung für die Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nachdem sie jedoch in den letzten Monaten ihren Reisepass bei den Behörden hinterlegt hatte, um ihre Ausnahmegenehmigung entgegenzunehmen, musste sie schockiert feststellen, dass dieser mit einer Abschiebungsanordnung versehen war, die sie dazu verpflichtete, Ägypten zu verlassen. Der Frau droht nun das Exil in einem Land, das sich im Kriegszustand befindet, sowie die Trennung von zwei Kindern und ihrer älteren Mutter.

Hindernisse für religiöse Rechte und das Gemeinschaftsleben

Den Bahá’í in Ägypten wird auch ihr Grundrecht auf gemeinschaftsbildende Aktivitäten und andere Gemeinschafts- und Dienstleistungsprojekte verweigert. Die Behörden überwachen und stören die Aktivitäten der Bahá’í, einschließlich sozialer Projekte, die darauf abzielen, das Gemeinschaftsleben zu fördern. Zudem wird Ägyptern untersagt, sich mit Freunden und Kollegen der Bahá’í zu treffen.

„Als Bahá’í sind wir immer darum bemüht, geeinte Gemeinschaften aufzubauen“, sagt eine Bahá’í. „Die Behörden wissen von all unseren Aktivitäten und gemeinschaftsbildenden Bemühungen, und ihre Reaktionen und Haltungen sind ungerechtfertigt.“ Ein anderer Bahá’í meint: „Wir stehen unter ständiger Überwachung“ und fügt hinzu, dass die Menschen in der Bahá’í-Gemeinde „Nachrichten erhalten, die uns dies vor Augen führen und uns bedrohen, nur weil wir unseren Glauben ausüben.“

Als Reaktion auf einen Aufruf der Bahá’í-Gemeinde, Land für einen Bahá’í-Friedhof in Alexandria zur Verfügung zu stellen, holte der Staatskommissar, trotz seiner eigenen Befugnis hat, Land für diesen Zweck zuzuweisen, die Meinung der führenden islamischen Institution des Landes, Al-Azhar ein. Diese empfahl ihm, den Bahá’í das Recht auf eine würdige Bestattung zu verweigern, mit der Begründung, dass jede Zuweisung von Land für die Bahá’í „das Gefüge der [weiteren] Gemeinschaft zerreißen könnte.“ Der Staatskommissar entschied sich, der Empfehlung der Al-Azhar zu folgen, so dass den Bahá’í in Ägypten nur ein einziger überfüllter Friedhof in Kairo als Bestattungsort zur Verfügung steht. Hinzu kommt, dass Bahá’í das Recht verweigert wird, auf muslimischen Friedhöfen bestattet zu werden

Historischer Hintergrund

Die Bahá’í-Gemeinde in Ägypten ist seit fast einem Jahrhundert systematischer und vorsätzlicher Diskriminierung ausgesetzt, die von sektiererischen Motiven geleitet und von den Regierungsbehörden unterstützt wird.

  • Frühe Opposition: Seit den 1920er Jahren haben Mitglieder des muslimischen Klerus und der religiösen Gerichte den Glauben der Bahá’í in Ägypten aktiv bekämpft. Al-Azhar hat mehrere Fatwas erlassen, in denen die Bahá’í als Ungläubige verurteilt und die Gesellschaft vor dem Umgang mit ihnen gewarnt wurde. 1960 erließ Präsident Gamal Abdel Nasser ein Dekret, das alle Aktivitäten der Bahá’í verbot, die Bahá’í-Institutionen auflöste und den gesamten Besitz der Bahá’í, einschließlich ihrer Friedhöfe, beschlagnahmte. Dieses Dekret institutionalisierte offiziell die staatlich geförderte Diskriminierung der Bahá’í und verweigerte ihnen grundlegende Rechte und Anerkennung. 
  • Verweigerung von Personalausweisen: Jahrzehntelang konnten die Bahá’í keine nationalen Personalausweise erhalten, weil die Behörden beschlossen, ihre Religion auf offiziellen Dokumenten nicht anzuerkennen. Diese Maßnahme machte sie effektiv staatenlos und verwehrte ihnen den Zugang zu Bildung, Beschäftigung und staatlichen Dienstleistungen. Ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2008 erlaubte den Bahá’í die Verwendung eines Bindestrichs (-) im Feld für die Religionszugehörigkeit auf den Personalausweisen, aber der Bindestrich (-) selbst wird seither als Instrument der fortgesetzten Diskriminierung der Bahá’í verwendet.
  • Nicht-Anerkennung von Eheschließungen: In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Ehen der Bahá’í nicht offiziell anerkannt, trotz der vielen Bemühungen der Gemeinde, dieses Problem zu lösen. Im Jahr 2017 rieten Beamte des Justizministeriums der Bahá’í-Gemeinde, dass verheiratete Bahá’í-Paare einzeln Gerichtsurteile zur Anerkennung ihrer Ehen anstreben sollten. Trotz einiger positiver Gerichtsurteile hat der Staat vor kurzem gegen diese Entscheidungen Berufung eingelegt und damit die Umsetzung der Gerichtsurteile, die die Anerkennung von Bahá’í-Ehen vorsahen, verhindert. Einige verheiratete Paare, die 2017 ein positives Urteil erhielten und ihren Familienstand auf ihren Personalausweisen auf „verheiratet“ ändern konnten, mussten feststellen, dass sie bei der Erneuerung ihrer Personalausweise im Jahr 2024 wieder als „ledig“ ausgestellt wurden.  Ein internes Gesetz des Standesamtes hat diese Diskriminierung mit Artikel 134 institutionalisiert, in dem es heißt: „Ehen zwischen Bahá’í untereinander oder zwischen ihnen und anderen Anhängern anderer Religionen, die in der Arabischen Republik Ägypten anerkannt sind, dürfen nicht beglaubigt werden.“ Die Nichtanerkennung von Ehen hat viele Auswirkungen, darunter die Unfähigkeit, Geburten zu registrieren, Erbrechte zu sichern, Renten zu erhalten und vieles mehr.
  • Verweigerung von Bestattungsrechten: Die Regierung konfiszierte 1960 mehrere Friedhöfe der Bahá’í und hat sich seitdem geweigert, neues Land für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Den Bahá’í steht in ganz Ägypten nur ein einziger Friedhof zur Verfügung, der inzwischen fast ausgelastet ist. Die Gemeinde reichte in den Gouvernements Alexandria und Port Said Klagen ein, um die Zuweisung von Land für Friedhöfe zu erreichen. Die staatlichen Kommissare holten die Meinung der religiösen Autoritäten von Al-Azhar ein, die daraufhin am 26. Juni 2021 den folgenden Erlass erließen, der ihre Beteiligung an der anhaltenden Diskriminierung weiter unterstreicht: „Es ist nicht zulässig, ein Grundstück für die Beerdigung der Toten für diejenigen zuzuweisen, die den Bindestrich (-) oder etwas anderes haben, denn dies könnte zu Diskriminierung, weiterer Segregation und Spaltung führen und das Gefüge der Gemeinschaft zerreißen.“
  • Belästigung und Überwachung durch die Nationale Sicherheitsbehörde: Bahá’í werden regelmäßig von den Sicherheitsbehörden schikaniert, eingeschüchtert und verhört. Ihre sozialen und humanitären Projekte werden eingestellt, und ihre Freunde und Bekannten werden davon abgehalten, Beziehungen zu ihnen zu unterhalten.
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