Berlin, 07. Februar 2025 – Im Rahmen eines informellen Austauschs zwischen Bundestagsabgeordneten, Menschenrechtsexperten und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen luden der Bundestagsabgeordnete Max Lucks (Bündnis 90/Die Grünen) und die Bahá’í-Gemeinde in Deutschland am 28. Januar zu einem parlamentarischen Frühstück ein, das sich dem Thema „Völkerstraftaten an religiösen Minderheiten“ widmete. Die Menschenrechtsaktivistin und Jesidin Düzen Tekkal (HÁWAR.help), der Völkerstrafrechtler Dr. Alexander Schwarz (European Centre for Constitutional and Human Rights, ECCHR) und der Ankläger vor dem internationalen Strafgerichtshof und Bahá’í Prof. Payam Akhavan, referierten über die Bedeutung von Völkerstraftaten insbesondere im Kontext der Jesiden im Irak und der Bahá’í im Iran.
In mehreren Ländern des Nahen Ostens werden Völkerstraftaten an religiösen Minderheiten begangen. Besonders besorgniserregende Beispiele sind die Jesiden im Irak und die Bahá’í in der Islamischen Republik Iran, die aufgrund ihres Glaubens systematisch verfolgt werden und dadurch in ihrer Identität und Existenz als Gemeinschaft massiv bedroht sind. Damit ist ihr Leben, ihr kulturelles und religiöses Erbe in Gefahr, wie Düzen Tekkal, Gründerin der Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help, betonte: „Krisen kreieren Sündenböcke. Davon können wir ein gemeinsames Lied singen, sowohl die Bahá’í, als auch die Religionsgemeinschaft der Jesiden. Was wir gemeinsam haben, ist die Verfolgung und auch der Kampf für Religionsfreiheit, der existenziell ist.“ Sie beschrieb die Aufgabe ihrer Organisation so, „dass man verantwortlich ist, für das, was man sieht und alle Religionsgemeinschaften und Gruppen sehen muss und dann eben auch entsprechend handeln; dass wir Schallverstärker sein wollen für die Bahá’í und für die Stimmlosen und für die, die vielleicht noch auf dem Weg dahin sind, was die jesidischen Frauen geschafft haben, mit ihrem Mut, mit ihrem Willen, mit ihrer Unbeugsamkeit.“
Das Völkerstrafrecht bietet der internationalen Gemeinschaft die Möglichkeit, die Verantwortlichen dieser Völkerstraftaten zu ermitteln, anzuklagen und bei hinreichender Beweislage zu verurteilen. Die Anerkennung des IS-Völkermordes an den Jesidinnen im Deutschen Bundestag hatte zwar eine wichtige Symbolwirkung, aber die Hinterbliebenen des Völkermordes und die Betroffenen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Bahá‘í im Iran erfahren erst dann Gerechtigkeit, wenn die Verantwortlichen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden, waren sich die Experten einig. Prof. Akhavan, der seit Jahrzehnten in Anklägerfunktion für den Internationalen Strafgerichtshof, in Beraterfunktion für die Vereinten Nationen sowie in der Völkerrechtslehre tätig ist, erklärte: „Wir müssen darüber nachdenken, was nötig ist, um diese Verbrechen zu verhindern: Verantwortlichkeit, Gedenken und Erinnerung, Gerechtigkeit im weitesten Sinne, ob mit Strafe oder Wiedergutmachung, sind nicht nur für die Aufarbeitung der Verbrechen der Vergangenheit, sondern auch für den Aufbau einer anderen Zukunft unerlässlich. Im Fall der iranischen Bahá’í ist das Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form der religiösen Verfolgung ein klassisches Beispiel für eine Staatsdoktrin und ein Rechtssystem, das den von der Islamischen Republik als ‚abtrünnige Sekte‘ bezeichneten Gruppe systematisch die Grundrechte verweigert, was u.a. im Bericht von Human Rights Watch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet wurde.“
Insofern ist die juristische Aufarbeitung durch völkerstrafrechtliche Prozesse vor deutschen Gerichten nach dem Weltrechtsprinzip ein wichtiger Meilenstein. Die geschlechtsbezogene Gewalt betrifft sowohl die jesidischen Frauen im Irak als auch die Bahá‘-Frauen im Iran, die seit der frauenrechtlichen Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ zunehmend einer intersektionalen Verfolgung ausgesetzt sind: wegen ihrer Religionszugehörigkeit, aber auch aufgrund ihrer Weiblichkeit. Mehr als zwei Drittel der seitdem inhaftierten Bahá‘í sind Frauen. Darauf verwiesen kürzlich 18 Experten und Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen in einer gemeinsamen Intervention, der sich 125 Parlamentarier aus Europa angeschlossen haben. Auch Dr. Alexander Schwarz, Co-Leiter der Völkerstrafrechtsabteilung im ECCHR, ging im Bundestag darauf ein: „Gerade bei den Bahá‘í sehen wir, dass die staatliche Repression mindestens zwei Gesichter hat, nämlich zum einen die religionsbezogene und zum anderen die geschlechtsbezogene Verfolgung, wenn es um die Frauen geht.“ Mit Blick auf die juristische Aufarbeitung berichtete er: „Völkerstrafrecht hat das Potential nicht nur die konkreten begangenen Verbrechen zu ahnden und zur Strafe zu bringen, sondern letztendlich auch die häufig hinter den Verbrechen stehenden Diskriminierungsformen systematischer Natur aufzudecken, öffentlich zu machen und deutlich zu machen, was dahintersteht. Gerade bei den Jesidinnen ist die geschlechtsbezogene Verfolgung, ähnlich wie bei den Bahá’í, ein Phänomen und wir sehen, dass die systematische Unterdrückung von Frauen, die systematische Entrechtung ihrer Rolle, aber auch die systematische Entrechtung als Religionsgemeinschaft Teile einer Unterdrückungskultur ist, die hinter den jeweiligen Straftaten steht, die wir versuchen aufzuarbeiten.“
Die generationsübergreifende Geschichte der Verfolgung und Diskriminierung, die bis zur Gründung der Bahá’í-Religion im 19. Jahrhundert zurückreicht, schafft eine tiefe Solidarität mit anderen religiösen Minderheiten, die ebenfalls unter Verfolgung und Völkermord leiden, wie beispielsweise die Jesiden. Gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern, wie Hawar.help und dem ECCHR, möchte die Bahá’í-Gemeinde dazu beitragen, dass diese Themen in der Öffentlichkeit und auf politischer Ebene Gehör finden, dass das Bewusstsein für die Verfolgung von Minderheiten geschärft wird, die Stimmen der Verfolgten Gehör finden und dass die internationale Gemeinschaft Druck auf Regierungen ausübt, die für diese Verbrechen verantwortlich sind.
Am selben Abend des 28. Januar luden die Bahá’í-Gemeinde in Deutschland, Hawar.help und das ECCHR zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion ein, bei der ebenfalls Düzen Tekkal, Dr. Alexander Schwarz und Prof. Payam Akhavan als Experten zur Verfügung standen und von der Journalistin und Publizistin Shila Behjat zu ihren Erfahrungen und ihren Perspektiven befragt wurden. Dabei wurden einige Aspekte der morgendlichen Runde vertieft und die Bedeutung der interdisziplinären – auch juristischen – Aufarbeitung der Verfolgung religiöser Minderheiten hervorgehoben. Das Gespräch kann hier in voller Länge angesehen werden: