„Our Story Is One“
Am Mittwoch, den 8. November, fand ich während eines Telefonats mit meinem Ehemann die Gelegenheit, mit der Mutter meines Schwiegersohns, Frau Showghangiz Sorourian, zu sprechen, die wegen einer ärztlichen Behandlung ihrer Tochter von Hamadan nach Teheran gereist war. Ich hörte von ihr, dass eine Gruppe von Sicherheitskräften ihr Haus in Hamadan überfallen, die Tür in Abwesenheit des Eigentümers aufgebrochen und das Haus durchsucht hätte. Unweigerlich erinnerte ich mich momentan an das Jahr 1987, als Showghangiz und ihr Ehemann unter dem Vorwurf, Bahá’í zu sein, verhaftet und vom Hamadan-Gefängnis ins Evin-Gefängnis überführt wurden. Zu dieser Zeit hatten sie drei minderjährige Kinder im Alter von 4, 6 und 8 Jahren, die nach der Verhaftung ihrer Eltern der Aufsicht ihrer Eltern entzogen wurden. Nach mehreren Monaten völliger Ahnungslosigkeit brachten die Verwandten schließlich jede Woche alle drei Kinder nach Teheran, damit sie an einem Tag ihren Vater und an einem anderen Tag ihre Mutter besuchen konnten, bevor sie nach Hamadan und zur Schule zurückkehrten. Es ist offensichtlich, dass solche Verhaftungen von Eltern mit kleinen Kindern als eine geplante Handlung, die leider immer noch andauert, unauslöschliche negative Auswirkungen auf die Kinder und ihre Eltern hat und ein Beispiel für ‚Kindesmisshandlung‘ darstellt.
Aber das vierjährige Mädchen wurde später in den späten 2000ern, als es bereits eine junge Frau geworden war, in Hamadan festgenommen und ins Gefängnis von Nahavand gebracht. Jetzt war es die alte und allein gelassene Mutter, die jede Woche von Hamadan nach Nahavand reiste, um ihre junge Tochter zu besuchen, die im öffentlichen Gefängnis von Nahavand unter sehr schlechten Bedingungen festgehalten wurde. Nach etwa 36 Jahren wurde das Haus dieser 82-jährigen Dame auf grausame Weise überfallen und geplündert, und ihre seelische Sicherheit wurde absichtlich zerstört. Ich habe auch gehört, dass das Heim von Frau Akhtar Vatheri (Naímí), die 88 Jahre alt ist und an Alzheimer-Krankheit leidet, ebenfalls überfallen und durchsucht wurde. Sie ist die Ehefrau von Dr. Firuz Naimi, einem der prominentesten, bekanntesten und beliebtesten Fachärzten in Hamadan, der in den ersten Jahren der Revolution zusammen mit sechs anderen Bahá’í festgenommen und auf grausamste Weise und unter schrecklichen Folterungen hingerichtet wurde. Zwei weitere Häuser, die überfallen wurden, gehören Frau Pouran Ḥabíbí (Khandel) und ihrem Sohn Mehran Khandel. Ihr Ehemann ist Herr Hossein Khandel, und ihre beiden Onkel sind die Herren Soheil und Sohrab Ḥabíbí, die auch zu den sieben hingerichteten Baháʼí zählen.
Am Mittwochmorgen begann mein Tag mit dieser Nachricht und der schmerzhaften Fortdauer der 40-jährigen tragischen Geschichte dieser Familien. Mein Herz war voller Trauer und Leid. Trauer über die Intensität der Ungerechtigkeit und des Leids aufgrund der Feindseligkeit der Regierung gegenüber einer Gruppe von friedlichsten und gesetzestreuesten Bürgern Irans. Die Fortdauer derselben Trauer, die seit dem späten Sommer des letzten Jahres aufgrund des Protestaufstands des Volkes auf den Tod von Mahsa (Zhina) Amíní und den Tod einiger geliebter junger Menschen Irans im Widerstand zur Durchsetzung ihrer grundlegenden Rechte hatten mein Herz und das vieler meiner lieben Landsleute ergriffen.
Am Nachmittag desselben Tages hatte ich einige Minuten Gelegenheit, meine Kinder telefonisch zu erreichen, und hörte, dass der Übergriff auf die Häuser der Bahá’í nicht auf diese wenigen Familien beschränkt war; sondern es waren etwa 25 Häuser überfallen und geplündert worden, und 9 Personen waren in Hamadan festgenommen und ins Gefängnis gesteckt worden. Ich hörte auch die Nachricht über die Verhaftung von etwa 6 weiteren Bahá’í in Karadj. Einer von ihnen ist der Neffe meines Ehemanns, Foad Taefi, welcher drei kleine Kinder hat. Foad war als Kind Zeuge der Inhaftierung seines Vaters, später der Verhaftung seiner Mutter in Mashhad, und dann erlebte er die Verhaftung und Inhaftierung seines Schwiegervaters im Gefängnis von Rajá’í Shahr in Karadj. Unter den Gefangenen in Karadj ist auch ein junges Ehepaar, das zwei kleine Kinder hat. Man kann mit Sicherheit sagen, dass es im Iran keine Bahá’í-Familie gibt, die nicht eine Vergangenheit voller Leiden und Verletzungen in mehreren aufeinanderfolgenden Generationen hätte.
Nachdem ich diese schrecklichen Nachrichten vernommen habe, erinnerte ich mich daran, dass ich im August 2022, während der Verhöre, als ich dem Verhörenden erklärte: „Sie wissen doch, dass die Bahá’í-Administration, die für die Verwaltung der inneren Angelegenheiten der Bahá’í-Gemeinde verantwortlich war, seit 2008, als ich im Gefängnis war, aufgelöst wurde; und seit meiner Freilassung im Jahre 2017 wurde ich ständig überwacht. Sie wissen auch, dass die Anschuldigung „Bildung einer illegalen Gesellschaft“ in meinem Fall nicht zutrifft, und jetzt bin ich wie alle im Iran wohnenden Bahá’í ohne administrative Verantwortung. Warum also werden diese Anschuldigungen wiederholt?“ Die Antwort war: „Ja, wir wissen, dass Sie in dieser Zeit keine Verantwortung hatten, aber aus unserer Sicht sollten alle im Iran verbliebenen Bahá’í verhaftet und ins Gefängnis gesteckt werden. Wenn wir es könnten, würden wir alle ins Gefängnis stecken.“ Damals dachte ich, dass diese Antwort nur eine Rechtfertigung für meine unrechtmäßige Verhaftung sei. Jetzt bin ich mir jedoch durch den Angriff auf das Haus einiger älterer Damen sicher, dass an diesem Tag die Regierung eine klare und reale Strategie gegenüber der Bahá’í-Gemeinde im Iran verfolgt, nämlich: „Alle Bahá’í, die im Iran verblieben sind und den Iran nicht verlassen haben, verdienen es, verhaftet und ins Gefängnis gesteckt zu werden.“
Ich schreibe diese Zeilen mit einem traurigen Herzen an meine geliebten Enkel Navá und Díbá, deren eine Großmutter das zwölfte Jahr ihrer Haft unter so schlimmen Bedingungen im Evin-Gefängnis verbüßt, und deren andere Großmutter im Alter von 82 Jahren jetzt sogar ihres grundlegenden Rechts auf Sicherheit in ihrem Heim beraubt ist, nach dem sie vor 36 Jahren zusammen mit ihrem Ehemann ins Gefängnis musste und die Trennung von ihren drei kleinen Kindern erlitten hat. Und für Síná, Fárán und Fáris, die den Gefängnisaufenthalt ihres Vaters, ihrer beiden Großväter und ihres Onkels gesehen und gehört haben. Und für alle Kinder im Iran und das gerechte Volk meines geliebten Landes, die ihre Lieben und Jugendlichen durch Unterdrückung und Unrecht verloren haben. Weil: „Our story is one.“ Vielleicht wird das Hören dieser schmerzhaften, aber wahren Geschichten dazu führen, dass wir mehr denn je danach streben, dass die Gerechtigkeit an die Stelle der Unterdrückung tritt und das Licht die Dunkelheit überwindet.
– Fariba Kamalabadi, Evin-Gefängnis, November 2023