Der Versuch, das wirtschaftliche Leben der Bahá’í zu zerstören, gehört schon seit der Islamischen Revolution 1979 zu den Facetten staatlicher Verfolgung, als die Regierung begann, alle im öffentlichen Dienst beschäftigten Bahá’í zu entlassen. Anschließend ging sie dazu über, den Bahá’í im Bereich der Privatwirtschaft die Geschäftslizenzen zu entziehen. Auf diese Weise verloren Tausende über die letzten vierzig Jahre ihre Arbeit und damit die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Insgesamt wurden mehr als 1.000 solcher Fälle seit 2013 bekannt – mit unbekannter Dunkelziffer. All diese Maßnahmen verstoßen gegen Artikel 6 des durch den Iran ratifizierten Zivilpakts der Vereinten Nationen.
Die 1990er-Jahre waren eine Phase relativer Sicherheit, während der der staatliche Druck abnahm. In jüngster Zeit hat die wirtschaftliche Strangulierung jedoch wieder zugenommen. Die Behörden versuchen, die Bahá’í im wahrsten Sinne des Wortes auszuhungern. Bahá‘í erhalten grundsätzlich keine Anstellung im öffentlichen Dienst, und Muslime werden oft unter Druck gesetzt, ihre Bahá‘í-Angestellten zu entlassen. Die Behörden verlangen als Kaution nach ungerechtfertigten Verhaftungen weiterhin horrende Summen von Bahá’í, oft in Form der Überschreibung von Immobilien. Allein in der Provinz Teheran bestehen in 25 Branchen Berufsverbote gegen Bahá’í, da diese als „unrein“ gelten und nicht in Kontakt mit anderen Menschen kommen dürfen.
Aktuell mehren sich die Fälle, in denen frisch-verheirateten Bahá’í-Paaren Darlehen verwehrt werden, weil ihre Heiratsdokumente nicht anerkannt werden. Zum Hintergrund: Die üblichen Heiratsdokumenten werden nicht an Bahá’í ausgestellt. Stattdessen müssen sie ein gesondertes notariell beglaubigen lassen. Zwar erkennen viele Banken die Gültigkeit dieser Dokumente an. Sie erkennen daran jedoch auch, dass das Gegenüber Bahá’í ist, sodass eine diskriminierende Behandlung überhaupt erst ermöglicht wird.
Es häufen sich Berichte, wonach Geschäftsinhabern angedroht wird, ihnen die Geschäftslizenz zu entziehen und das Unternehmen permanent zu schließen, sofern sie nicht eine Erklärung unterzeichnen, mit der sie zusichern, ihre Geschäfte künftig nur noch an den gesetzlich vorgeschriebenen Feiertagen geschlossen zu lassen. Gleiche Forderungen wurden jüngst gegen Bahá’í gestellt, die ihre Geschäftslizenzen erneuern lassen wollten. Dies folgt der Staatsdoktrin, die Bahá’í kulturell zu entwurzeln und ihnen die Mehrheitskultur aufzuzwingen. Damit verletzt der Iran seine völkerrechtliche Pflicht zur Achtung und Gewährleistung der Religionsfreiheit aus Art. 18 UN-Zivilpakt.
Einige aktuelle Beispiele wirtschaftlicher Unterdrückung und Diskriminierung:
- In der Provinz Mazandaran wurden alleine im November 2016 über 90 Ladengeschäfte geschlossen. Auf die Beschwerde der Ladeninhaber hin, gaben einige Behörden an, dass es nicht in ihrer Macht stünde, darüber zu entscheiden.
- Im Oktober 2018 wurde einem Ladeninhaber, der gerichtlich gegen eine Ladenschließung vorging, von einem Richter in der Privnz Alborz erklärt, dass er sein Geschäft weiter führen könne, wenn er sich gegenüber dem Geheimdienst als Muslim erklärte.
- Am 12. November 2018 wurden fünf Geschäfte, deren Inhaber Bahá’í sind, in Ahvaz versiegelt, weil sie während Bahá‘ì-Feiertagen geschlossen waren. Drei dieser Läden für Inneneinrichtung und Elektroreparatur wurden bereits im Juli 2017 aus den gleichen Gründen versiegelt.
- Im Mai 2019 führten Iranische Behörden in einer Reihe von Häusern und Lagerräumen der Bahá’í in einem Dorf in der Nähe von Ghamsar Razzien durch und beschlagnahmten Behältnisse, die zur Herstellung von Rosenwasser verwendet werden, vorübergehend. Dabei warfen sie den Bahá’í absurderweise vor, alkoholische Getränke hergestellt zu haben.
- Am 27. Juni 2019 und am 3. Juli 2019 betraten Iranische Behörden ein in Karaj von Bahá’í betriebenes Seniorenpflegeheim um die zum Teil bettlägerigen und behinderten Bewohner zu entfernen und die Einrichtung zu schließen und zu versiegeln. Beim zweiten Versuch handelten sie mit staatsanwaltschaftlicher Anordnung Der Einrichtung, die seit 20 Jahren mit Genehmigung des Sozialamtes der Alten- und Behindertenpflege dient, wurde jüngst die Verlängerung der Lizenz verweigert, weil ihre Bediensteten der Bahá’í-Religion angehören.
- Am 1. August 2020 entschied ein Gericht in Teheran rechtskräftig, dass 27 Bahá’ì-Familien im Dorf Ivel, ihre Grundstücke, auf denen sie seit Generationen Landwirtschaft betreiben, illegitim besitzen und sie daher enteignet werden können. Nach Artikel 49 der iranischen Verfassung, der zur Rechtfertigung der Enteignungen missbraucht wird, muss die Regierung die Legitimität solcher Beschlagnahmungen nach islamischem Recht nachweisen. Die Anwendung dieses Artikels auf die Bahá’í zeigt deutlich den religiös motivierten Zweck, der hinter der Aneignung des Eigentums steht.
- Im August 2021 wurde auf der Website der iranischen Justiz eine Mitteilung veröffentlicht, in der sechs Bahá’í in der Provinz Semnan über die bevorstehende Beschlagnahmung ihrer Grundstücke informiert wurden. Die Bekanntmachung erfolgte, nachdem Sicherheitskräfte im November 2020 eine Reihe von Razzien bei Bahá’í-Eigentümern in verschiedenen Teilen Irans durchgeführt hatten. Bei diesen Razzien wurde eine große Anzahl von Eigentumsurkunden einzelner Bahá’í beschlagnahmt, darunter auch die Urkunden für die Grundstücke in Semnan, die nun beschlagnahmt werden sollen.
Appell an Präsident Rohani wirtschaftliche Unterdrückung der Baha’i zu beenden (PDF)
Sonderbericht zur systematischen ökonomischen Strangulierung der Bahá’í im Iran (Engl.:“Their Progress and Development Are Blocked“, 60 Seiten, NY 2015)