Berlin, 30. Oktober 2020 – Am Mittwoch, den 28. Oktober 2020 veröffentlichte die Bundesregierung ihren Zweiten Bericht zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit. MdB Markus Grübel, Beauftragter des Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie MdB Bärbel Kofler, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, stellten den Bericht im Rahmen der Bundespressekonferenz vor. Der Bericht deckt den Zeitraum 2018-2019 ab und enthält einerseits einen länderübergreifenden Thementeil sowie einen Länderteil, der die Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in 30 Staaten spezifisch beleuchtet.
Die sektoralen Querschnittsthemen des ersten Teils sind die Verletzungen von Religions- und Weltanschauungsfreiheit durch Blasphemie- und Anti-Konversionsgesetze (1), die Chancen digitaler Kommunikation und der Einfluss von Online-Hassrede auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit (2) sowie Chancen und Herausforderungen für das Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Bildungssektor (3).
Das erste Kapitel betont, dass das unteilbare und universelle Menschenrecht auf Religionsfreiheit, das in den Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem völkerrechtsverbindlichen Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (VN-Zivilpakt) normiert ist, auch das Recht beinhaltet, „seinen Glauben zu wechseln (Konversion) oder sich von einem Glauben abzuwenden (Apostasie)“. Exemplarisch wird der Fall von Youcef Nadarkhani angeführt, der als christlicher Konvertit im Iran 2010 wegen „Apostasie“ zum Tode verurteilt wurde und erst durch internationalen Protest 2012 freigesprochen wurde.
Zur Auslegung des Begriffs „Hassrede“ zieht der Bericht den VN-Aktionsplan zur Bekämpfung von Hassrede heran, indem diese definiert wird als „jede Art von Kommunikation in Wort, Schrift oder Verhalten, die eine Person oder eine Gruppe angreift oder eine abwertende oder diskriminierende Sprache gegenüber einer Person oder einer Gruppe verwendet auf der Grundlage ihrer Religion, ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität, Rasse, Hautfarbe, Abstammung, ihres Geschlechts oder eines anderen Identifikationsfaktors“. Gleichsam wird Artikel 20 Abs. 2 des VN-Zivilpaktes herangezogen, der bestimmt: „Jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, das eine Aufstachelung zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt darstellt, ist gesetzlich verboten.“ Im zweiten Kapitel wird angebracht, dass soziale Medien zu den „mächtigsten Kommunikationsinstrumenten“ der Gegenwart gehören und sowohl von Politikern als auch von religiösen Gruppen als Ressource genutzt werden um Meinungen zu beeinflussen und politischen Handeln zu initiieren. Der Bericht geht darauf ein, dass Online-Plattformen „bereits Maßnahmen ergriffen“ haben, „um insbesondere strafbare Online-Hassrede zu unterbinden oder zu minimieren“.
Im dritten Kapitel betont der Bericht, dass „eine tiefere Kenntnis von anderen Religionen interreligiöse Toleranz stärken und sich positiv auf das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Religionsgruppen sowie nicht-religiöser Menschen auswirken“ kann, auf der anderen Seite aber „Bildungssysteme das Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit auch einschränken und das friedliche Zusammenleben der Religionen stören“ können. „Dies gilt etwa dann, wenn sie Intoleranz gegenüber Anders- oder Nichtgläubigen fördern und Bildung religiöse Gruppen eher voneinander trennt als sie vereint.“ Außerdem sei der Bildungssektor „selten freiheitlicher gestaltet als der Staat, der die Bildungsangebote organisiert und zur Verfügung stellt“. Als Beispiel für eine menschenrechtsverletzende Bildungsverweigerung wird die „Exklusion von Schülerinnen und Schülern religioöser Minderheiten aus dem Unterricht, z.B. der Bahá’í und anderer religiöser Minderheiten im schiitischen Iran“ genannt.
Im Länderteil werden Verletzungen der Religionsfreiheit sowie Verfolgung und Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit u.a. im Iran vertiefend dargestellt. Dabei wird insbesondere die Lage der Bahá’í in den Blick genommen:
„Von den nicht verfassungsrechtlich anerkannten Minderheiten sind die Bahá’í, die zahlenmäßig größte religiöse Minderheit in Iran, am stärksten Repressalien und Verfolgung ausgesetzt. Sie gelten pauschal als „Häretiker“; in Anklagen wird ihnen Staatsgefährdung vorgeworfen. Sie sind vielfältiger Diskriminierung im Alltagsleben bis hin zu systematischer Verfolgung ausgesetzt, von diskriminierender Behandlung von Schulkindern durch Lehrkräfte bis zur systematischen Verwehrung des Hochschulzugangs im Rahmen der staatlichen Aufnahmeprüfung. Die Bahá’í dürfen ihren Glauben nicht öffentlich ausleben, etwa durch Gottesdienste oder durch Tragen religiöser Symbole. Die Tätigkeit des privaten Bahá’í Institute of Higher Education wurde untersagt, seine führenden Lehrkräfte verhaftet und der Lehrbetrieb in der Vergangenheit mehrfach nach Razzien verhindert, weshalb er zunehmend im Internet im Stile einer Fernuniversität erfolgt. Zwangsmaßnahmen gegen Unternehmen, die im Besitz von Bahá‘í stehen, finden regelmäßig statt (Schließung, Lizenzentzug, Nichtverlängerung von Lizenzen). Die Diskriminierung der Bahá’í setzte sich auch 2019 durch willkürliche Festnahmen, lange Haftzeiten, Folter und andere Misshandlungen fort. Das seit Januar 2020 geltende Antragsformular für Personalausweise bedeutet eine weitere Diskriminierung der Bahá’í und anderer offiziell nicht anerkannter religiöse Minderheiten. In dem neuen Formular haben nur Angehörige der offiziell anerkannten Religionen die Möglichkeit, ihre Religionszugehörigkeit zu vermerken. Die offiziell nicht anerkannten religiösen Minderheiten müssen ihre Religionszugehörigkeit verleugnen oder darauf verzichten, einen Personalausweis zu beantragen.“