Ehemaliger kanadischer Premierminister und hochrangige Juristen fordern Irans Obersten Richter Ebrahim Raisi auf, die Bahá'í-Verfolgung zu beenden

Berlin, 11. Februar 2021 – Der ehemalige kanadische Premierminister Brian Mulroney und 50 weitere hochrangige Juristen, darunter ehemalige Richter des Obersten Gerichtshofs von Kanada, kanadische Justizminister, prominente Rechtswissenschaftler und praktizierende Anwälte, richteten jüngst einen offenen Brief an den Obersten Richter der Islamischen Republik Iran, Ebrahim Raisi. Darin drücken sie ihre tiefe Besorgnis über „neue und schwerwiegende Verletzungen“ der Menschenrechte der Bahá’í-Gemeinde des Landes aus. Sie verurteilen insbesondere ein kürzlich ergangenes Gerichtsurteil zur Enteignung von Bahá’í-Grundstücken in Ivel, einem Dorf im Norden Irans.

„Angehörige der Bahá’í-Religion werden im Iran seit der Religionsstiftung vor über 170 Jahren verfolgt“, heißt es in dem Brief. „Unter der gegenwärtigen iranischen Regierung erfuhren die Bahá’í Hausdurchsuchungen, Angriffe auf Grundstücke, Beschlagnahmungen von Besitztümern, Entlassungen aus dem Arbeitsverhältnis, Verweigerungen des Zugangs zu höherer Bildung, Inhaftierungen und Hinrichtungen. Die Bahá’í legten Rechtsmittel ein, allerdings meist erfolglos.“

Die beispiellose Welle der Unterstützung folgt auf die ungerechtfertigte Enteignung von Grundstücken der Bahá’í durch iranische Behörden in Ivel. Die Enteignungen, die allein aus religiösen Gründen erfolgten, haben Dutzende von Familien vertrieben und wirtschaftlich verarmt zurückgelassen.
Artikel 49 der iranischen Verfassung – der von einen iranischen Gerichten in rechtskräftigen Entscheidungen im August und Oktober 2020 zur Rechtfertigung der Enteignungen herangezogen wurde – verlangt von der Regierung, die Legitimität solcher Enteignungen nach islamischem Recht zu beweisen. Trotz dieser Vorgabe lassen zahlreiche amtliche Dokumente jedoch unmissverständlich religiöse Vorurteile als alleiniges Motiv für die Enteignungen erkennen. Aus einigen Akten geht beispielsweise hervor, dass den Bahá’í gesagt wurde, wenn sie zum Islam konvertierten, würde ihr Eigentum zurückgegeben werden.

„Die Urteile aus dem Jahr 2020 schaffen nun einen gefährlichen verfassungsrechtlichen Präzedenzfall einer gerichtlich genehmigten Enteignung, die legitime Eigentumsinteressen allein aufgrund der Religionszugehörigkeit der Eigentümer zunichte macht und damit nicht nur von internationalen Menschenrechtsstandards, sondern auch vom Text und der Absicht der iranischen Verfassung selbst abweicht“, heißt es in dem Brief an den Obersten Richter Raisi.
„Die religiöse Diskriminierung der Bahá’í-Gemeinde“, so heißt es weiter, „kann eine hinreichende Grundlage für eine Anklage der iranischen Behörden vor internationalen Strafgerichten und anderen internationalen Institutionen sein.“

Trotz wiederholter Versuche der Bahá’í in Ivel, ihre Rechte einzufordern, wurde ihren Anwälten keine Gelegenheit gegeben, Einsicht in Gerichtsdokumente zu nehmen, um eine Verteidigung vorzubereiten oder überhaupt Argumente vorzubringen.
Die Situation in Ivel ist ein „alarmierendes neues Kapitel“ in der Verfolgung, heißt es in dem Brief, der darauf hinweist, dass die Bahá’í-Gemeinde in Ivel, die bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückreicht, einst eine „blühende und friedliche Mehrgenerationen-Gemeinschaft (…) von Bauern und Inhabern kleiner Geschäfte“ war. Aber seit der Islamischen Revolution von 1979 wurden die Bahá’í in Ivel „aus ihren Häusern vertrieben, inhaftiert, schikaniert und ihr Eigentum abgefackelt und zerstört.“

„Dieser Brief prominenter Juristen zeigt, dass die grausame Behandlung der Bahá’í durch die iranischen Behörden der internationalen Gemeinschaft nicht verborgen geblieben ist“, sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. „Stattdessen rüttelte die Tat, das öffentliche Gewissen auf der ganzen Welt wach.“
„Wir wissen, dass der Bahá’í-Glaube für die Werte des Friedens, der Gerechtigkeit und der Einheit steht – Werte, die seit Jahrzehnten von den iranischen Behörden nachhaltig angegriffen werden“, heißt es in dem Brief abschließend. „Heute stehen auch wir als Vertreter der kanadischen Rechtspflege, die wir an die Rechtsstaatlichkeit glauben, an der Seite der Bahá’í im Iran und fordern Sie als Oberhaupt der iranischen Justiz auf, sich mit diesem neuen Angriff auf die Bahá’í in Ivel zu befassen.“


Hintergrundinformationen zu den Enteignungen im Dorf Ivel und dem historischen Kontext finden Sie hier.

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