Iranische Vordenker fordern ein Ende der „historischen Schande“ der Bahá’í-Verfolgung

Berlin, 23. Januar 2024 – Eine Gruppe von mehr als 150 iranischen MenschenrechtsaktivistInnen und gesellschaftspolitischen AktivistInnen unterzeichnete eine eindringliche öffentliche Erklärung (auf Persisch mit Englischer Übersetzung), in der sie die „neue Verhaftungswelle gegen die Bahá’í und die Verweigerung ihrer grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte“ verurteilen.

Die Gruppe schließt sich zahlreichen weiteren Stimmen im Rahmen der Kampagne „Our Story Is One“ an und fordert ihre Mitbürger auf, in Solidarität mit der iranischen Bahá’í-Gemeinde „ihre Stimme zu erheben“. Zu den Unterzeichnern gehören prominente Menschenrechtsaktivisten, Akademiker, Rechtsanwälte, Künstler und ehemalige Beamte.

„Die Bahá’í im Iran sind seit mehr als 150 Jahren in systematischer Weise einem ideologischen, politischen, erzieherischen und wirtschaftlichen Druck ausgesetzt“, heißt es in der Erklärung, die hinzufügt, dass die Unterdrückung nach der islamischen Revolution von 1979 „breitere Dimensionen und eine noch unmenschlichere Intensität“ angenommen hat.

Dies ist die jüngste in einer Reihe von Erklärungen, die in den letzten Jahren von prominenten Iranern zur Unterstützung der Rechte der Bahá’í-Gemeinde im Iran abgegeben wurden. Die Bahá’í sind die größte nicht-muslimische religiöse Minderheit im Iran und werden seit 44 Jahren systematisch von der Islamischen Republik verfolgt. Im Dezember letzten Jahres warnte die Baha’i International Community (BIC), dass die iranische Regierung „verstärkte und brutale neue Taktiken“ zur Verfolgung der Gemeinde anwendet.

Ein bemerkenswerter Aspekt der neuen Erklärung ist, dass sie von führenden Köpfen aus einem breiten Spektrum von Perspektiven und politischen Meinungen in der iranischen Gesellschaft unterzeichnet wurde, die die Verfolgung der Bahá’í in unmissverstädnlicher Sprache verurteilen.

„Kein Bürger sollte nur wegen seines Glaubens bestraft werden“, heißt es in der Erklärung. „Kein Bürger und keine Minderheit in der Gesellschaft sollte aufgrund religiöser Vorurteile, Dogmen oder politischer Verblendungen verurteilt, diskriminiert, sozial benachteiligt oder systematisch unterdrückt werden.“

Die öffentliche Erklärung wurde zur Halbzeit der einjährigen Kampagne „Our Story Is One“ der BIC veröffentlicht, die im Juni 2023 zum Gedenken an die Hinrichtung von zehn Bahá’í-Frauen in Shiraz vor 40 Jahren und zur Würdigung der historischen Anstrengungen einfacher Iranerinnen für die Gleichstellung von Frauen und Männern gestartet wurde.

Our Story is One ruft die Menschen im Iran dazu auf, einander jenseits der von der iranischen Regierung geschaffenen Narrative der ‚Andersartigkeit‘ und der Spaltung zu sehen und stattdessen alle Individuen und Gruppen als menschliche Wesen zu betrachten, deren Geschichten, Leben und Wohlergehen miteinander verbunden sind“, sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. „Diese Erklärung von mehr als 150 führenden iranischen Denkern unterstreicht genau diese Botschaft. Trotz jahrelanger Hasspropaganda sind die Iraner fähig und willens, die Differenzen, die sie bisher voneinander getrennt haben – Religion, Ethnie sowie andere Hintergründe – zu überwinden und stattdessen jeden Teil ihrer Gesellschaft als integralen Bestandteil einer vielfältigen, aber einzigen Familie zu sehen.“

Die Erklärung prangert auch die seit 44 Jahren andauernde „allumfassende Entrechtung der Bahá’í“ an, einschließlich des Rechts auf Bildung, Arbeit und des Lebensunterhalts, sowie die Beschlagnahmung von Häusern und Bauernhöfen, die den Bahá’í gehören, und die Schändung der sterblichen Überreste verstorbener Bahá’í. Die iranische Justiz setzt die Bahá’í „ungerechtfertigten Verhaftungen und schweren Gerichtsurteilen aus, die auf fiktiven und falschen Fällen beruhen“, so die Gruppe.

„Diese historische Schande sollte durch Taten kompensiert und beendet werden“, heißt es weiter. Die iranische Gesellschaft kämpfe seit Jahren darum, „die ‚Dämonisierung‘ [der Bahá’í] zu überwinden, die auf Unwissenheit und Dogmen beruht“ und „das kulturelle und politische Klima der Zivilgesellschaft in Bezug auf die Bahá’í-Mitbürger so zu verändern, dass sie human ist und auf Menschenrechten basiert“, so die Erklärung.

Und wenngleich die Unterzeichner von einem „langen Weg“ sprechen, um diese Ziele zu erreichen, erklärten sie, dass der „gemeinsame Wunsch“ nach Menschenrechten, der von allen Iranern geteilt wird, ein „grundlegender und nationaler Schritt nach vorn“ sei.

„Gläubige aller Religionen, Nicht-Gläubige und Anhänger verschiedener intellektueller und politischer Ideologien können gleichberechtigt miteinander für die umfassende Entwicklung des Iran und die Verwirklichung von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie sowie die Beseitigung aller Arten von Diskriminierung in der Gesellschaft zusammenarbeiten“, erklärten sie.

„Die Internationale Bahá’í-Gemeinde ist diesen iranischen Vordenkern und vielen Hunderttausenden weiterer für ihren Mut, ihr Gerechtigkeitsstreben und ihr Eintreten für die Rechte der iranischen Bahá’í in den letzten Jahren und in dieser Erklärung unendlich dankbar“, so Noltenius. „Vorbei sind die Zeiten, in denen die vielfältige Familie der iranischen Bürger auseinanderdividiert werden konnte. Die von diesen führenden Iranern unterzeichnete Erklärung ist ein Symbol der Einheit, einer Einheit in der Vielfalt. Dies ist ein Wert, der den Iran in eine Zukunft frei von Ungerechtigkeit und Schmerz führen kann. Jeder Tag, der vergeht, scheint neue Beispiele dafür zu liefern, inwiefern die Geschichte der Bahá’í und aller anderen Menschen im Iran eine Einzige ist.“

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