„Änderung der Strategie“: Internationale Bahá’í-Gemeinde schildert „grausame“ Verfolgung im Iran

Berlin, 6. Dezember 2023 – Seit Anfang Oktober nehmen die Zahlen der verhafteten und inhaftierten Bahá’í massiv zu. In den vergangenen acht Wochen wurden 40 Bahá’í verhaftet und die Häuser von fast 100 Familien in Städten im ganzen Land gestürmt und durchsucht. Aktuell befinden sich ca. 70 Bahá’í in Haft, die bei Verhören sowohl psychisch als auch physisch misshandelt wurden. Zudem befinden sich weitere 1.200 Bahá’í in laufenden Strafverfahren oder wurden bereits verurteilt, warten aber noch auf ihre Vorladung ins Gefängnis.

Die iranische Regierung verfolgt seit über 44 Jahren die religiöse Minderheit der Bahá’í systematisch und raubt ihnen jegliches „Gefühl von Frieden und Sicherheit in ihrem täglichen Leben“, so die Internationale Bahá’í-Gemeinde (BIC) in einem jüngst veröffentlichten Statement

Neuerdings wenden die Behörden noch brutalere und beunruhigendere Methoden an, sowohl bei gewaltsamen Hausdurchsuchungen als auch bei Beschlagnahmungen von Eigentum, bei denen nicht nur Mobiltelefone, Computer und Bücher, sondern mittlerweile auch Schmuck, Kinderspielzeug oder Dinge für den täglichen Gebrauch mitgenommen werden. Hinzu kommen die Verweigerung der Hochschulbildung und des Bestattungsrechts sowie die zunehmend staatlich orchestrierten Hassreden gegen die Bahá’í-Gemeinde. Besonders Frauen und ältere Menschen sind von den gewalttätigen Razzien und unmenschlichen Verfolgungsmethoden betroffen. 

„Die Angriffe auf die iranischen Bahá’í haben in diesem Jahr nicht nur deutlich zugenommen, sondern sind auch noch geprägt durch die Brutalität der neuen Taktiken, die die iranische Regierung gegen unschuldige Menschen anwendet“, sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. „Diese Taktiken sind Teil einer Strategie, die darauf abzielt, die vulnerabelsten Mitglieder ihrer Gemeinschaft zu terrorisieren und zu demoralisieren und davon sind nicht nur die Bahá’í betroffen, die aufgrund ihres Glaubens bereits extremem Druck ausgesetzt sind, sondern die gesamte iranische Gesellschaft. Die Internationale Bahá’í-Gemeinde beschreibt in ihrem jüngsten Statement detailliert, wie die Regierung dies zu erreichen versucht, nämlich durch zunehmende Gewalt, staatlich sanktionierten Diebstahl und die Verweigerung des Rechts zu studieren, zu lernen, in Würde zu leben oder zumindest in Würde zu sterben. Die internationale Gemeinschaft muss darauf drängen, dass die iranische Regierung ihre menschenverachtende Politik gegen die Bahá’í sofort einstellt.“

Jüngste Berichte über gewaltsame Hausdurchsuchungen nehmen gravierend zu. In Dutzenden von Fällen drangen maskierte Agenten mit vorgehaltener Waffe in die Häuser der Bahá’i ein, durchsuchten die Räumlichkeiten, entwendeten vorhandenes Bargeld, beschlagnahmten Wertgegenstände und teure Arbeitsmittel und verhafteten einzelne Personen oder hielten sie zur Befragung fest. 

Die Internationale Bahá’í-Gemeinde berichtet in ihrem aktuellen Statement von mehreren gewaltsamen Hausdurchsuchungen: „Als Sicherheitsbeamte in das Haus einer Familie eindrangen, widersetzte sich der kleine Sohn. Daraufhin schlugen die Beamten den Jungen heftig, vor den Augen seiner Eltern und seiner Großmutter, die nicht eingreifen konnten. In einem anderen Fall wurde eine junge Mutter bei der Ankunft in ihrer Wohnung von vier Männern, die auf sie gewartet hatten, gewaltsam in ihre eigene Wohnung geworfen“, wo sie dann eine Durchsuchung durchführten. Bei einem anderen Vorfall erlitt ein Bahá’í einen Herzinfarkt, nachdem Sicherheitsbeamte in sein Haus eingedrungen waren und seine Tochter verhafteten.

In einigen Fällen wurden Fenster eingeschlagen und Türen gewaltsam eingetreten, damit sich die Agenten Zugang zu den Häusern verschaffen konnten. Zudem wurden Sicherheitskameras in den Häusern mehrerer Bahá’í installiert, um deren Aktivitäten und Besucher zu überwachen.

Neu ist auch, dass die Behörden bei Hausdurchsuchungen keine Rücksicht mehr auf ältere Menschen nehmen. Eine Reihe von Razzien in den Häusern älterer und kranker Frauen führte dazu, dass mehrere von ihnen traumatisiert ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Eine dieser Frauen erlitt bei der Razzia einen Herzinfarkt, eine andere leidet an der Alzheimer-Krankheit. 

Auffällig ist ebenso, dass bei den jüngsten Verhaftungswellen vor allem junge Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren betroffen waren. Kommt es zu Verhaftungen, werden die Mütter von ihren kleinen Kindern getrennt, welches großes Leid und Traumata bei den Familien verursacht. Zwei Drittel der zuletzt verhafteten Bahá’í sind Frauen.

Verurteilungen durch die Gerichte werden zunehmend härter. Dazu gehören unverhältnismäßig hohe Haftstrafen oder exorbitante Kautionsforderungen oder Einforderung von Eigentumsurkunden, die als Sicherheit hinterlegt werden müssen, wenn ein Bahá’í auf Kaution freigelassen wird. In der Vergangenheit wurden die Kautionszahlungen nicht zurückgezahlt, so dass man damit rechnen muss, dass dieses Geld verloren ist. 

Bekannt ist, dass Bahá’í nicht zum Studium zugelassen werden, sobald ihre Religionszugehörigkeit bekannt wird. Seit neustem werden Bahá’í-Studenten jedoch aufgefordert, Erklärungen zu unterschreiben, in denen sie die Autorität ihrer religiösen Institutionen leugnen. Somit wird von ihnen verlangt, ihren Glauben zu widerrufen, wenn sie die Universität besuchen wollen. 

In einigen Städten übernahmen iranische Beamte, Friedhöfe, die im Eigentum der Bahá’í sind, und hinderten Familien daran, ihre Angehörigen nach Bahá’í-Bestattungsritualen beizusetzen. In der Erklärung der BIC heißt es weiter, dass Agenten des Geheimdienstministeriums den Bahá’í die Nutzung ihrer eigenen Grundstücke auf dem Bahá’í-Friedhof in Teheran untersagten und verstorbene Bahá’í in einem Massengrab mit Tausenden von politischen Gefangenen begruben.

Die BIC beschreibt in ihrem Statement eine weitere neue Entwicklung, mit der versucht wird, die Bahá’í immer weiter an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Durch die Einführung eines Online-Registrierungssystems werden Bahá’í jetzt auch daran gehindert, ihre Eheschließung registrieren zu lassen. Dies hat zur Folge, dass die Bahá’í-Eheschließungen nach dem Gesetz ungültig sind, was wiederum schwerwiegende Auswirkungen auf spätere Registrierungen von Geburten und andere soziale Rechte hat.

Dieses Statement der BIC wurde veröffentlicht, nachdem Briefe von zwei Bahá’í-Frauen, die derzeit im Evin-Gefängnis sitzen, Mahvash Sabet und Fariba Kamalabadi,, im Internet veröffentlicht wurden. Beide Frauen appellieren an ihre Landsleute, die iranische Regierung aufzufordern, die Verfolgung der Bahá’í zu beenden. „Unsere Geschichte ist eine“, schrieben beide in Anlehnung an die Kampagne #OurStoryIsOne der BIC. Diese im Juni begonnene Kampagne erinnert an die Hinrichtung von 10 Bahá’í-Frauen im Jahr 1983, die ihr Leben für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit geopfert haben – Prinzipien, für die sich heute so viele Menschen im Iran einsetzen.

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