Berlin, 16. August 2023 – Jamaloddin Khanjani, ein 90-jähriger Bahá’í, der bereits 10 Jahre wegen seines Bahá’í-Glaubens im Gefängnis saß und sich in einem schlechten Gesundheitszustand befindet, wurde am 13. August im Iran verhaftet. Damit setzt sich eine neue Repressionswelle gegen die Bahá’í im Iran fort, in deren Verlauf es in den letzten Wochen zu mehr als 180 Verfolgungsmaßnahmen gegen diese Religionsgemeinschaft kam.
Die Bahá’í sind die größte nicht-muslimische religiöse Minderheit im Iran und werden seit der Islamischen Revolution von 1979 systematisch verfolgt.
Herr Khanjani wurde zusammen mit seiner Tochter Maria Khanjani inhaftiert. Er war bereits von 2008 bis 2018 wegen seiner Mitgliedschaft in dem inoffiziellen Leitungsgremium der Bahá’í im Iran, den sogenannten „Yaran“ (persisch für „Freunde“), ein Jahrzehnt lang inhaftiert. Die Gruppe wurde mit uneingeschränkter Kenntnis der Regierung gegründet, nachdem die Regierung formelle Bahá’í-Institutionen im Iran verboten hatte. Die Gruppe kümmerte sich um die seelsorgerischen Bedürfnisse der iranischen Bahá’í-Gemeinde. Die Gruppe der Yaran wurde 2008 aufgelöst und alle sieben Mitglieder wurden inhaftiert und zunächst zu 20 Jahren Haft verurteilt. Auf internationalen Druck hin, wurde die Haftstrafe auf 10 Jahre reduziert. Alle Mitglieder saßen ihre 10-jährigen Haftstrafen ab und wurden 2018 freigelassen.
Die Verhaftung von Herrn Khanjani erfolgt wenige Tage nach der Bestätigung der zehnjährigen Haftstrafen gegen die beiden Bahá’í-Frauen und ehemaligen Yaran-Mitglieder Mahvash Sabet und Fariba Kamalabadi, die am 31. Juli 2022 verhaftet wurden. Die 70-jährige Mahvash Sabet leidet unter erheblichen gesundheitlichen Problemen und wurde im vergangenen Jahr mehrfach vom Gefängnis ins Krankenhaus verlegt. Ein viertes Mitglied der Yaran, Afif Naimi, der ebenfalls unter gesundheitlichen Problemen leidet und vor einem Jahr verhaftet wurde, wurde vor kurzem zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt.
„Die Grausamkeit gegenüber den Bahá’í im Iran kennt keine Grenzen. Die Verhaftung eines 90-Jährigen und anderer gesundheitlich beeinträchtigter Personen, die bereits 10 Jahre wegen ihres Glaubens im Gefängnis verbracht haben, zeigt den verzweifelten Versuch der Regierung, ihre vergeblichen Bemühungen um die Zerstörung der Bahá’í-Gemeinde im Iran fortzusetzen“, sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. „Kein Mensch, der sich dem Gerechtigkeitsprinzip auch nur im geringsten verpflichtet fühlt, würde es als etwas anderes als einen groben und skandalösen Justizirrtum betrachten, einen 90-jährigen Mann, der wegen seines Glaubens bereits schwerste Verfolgung erlitten hat, ohne den geringsten Beweis oder eine Anklage zu inhaftieren.“
Mit diesen neuen Verhaftungen hat sich die Zahl der in den letzten Wochen verhafteten oder inhaftierten Bahá’í auf fast 60 Fälle erhöht. Im gleichen Zeitraum wurden über 26 Bahá’í zu Haftstrafen verurteilt, die jederzeit vollstreckt können. Außerdem wurden 18 Bahá’í verhört. 59 Geschäfte, die sich im Besitz von Bahá’í befinden, wurden Berichten zufolge von den Behörden versiegelt, und die Wohnungen von neun weiteren Bahá’í wurden durchsucht.
Darüber hinaus werden die Bahá’í in Teheran nach wie vor daran gehindert, ihre Angehörigen auf dem Bahá’í-Friedhof in der Nähe von Khavaran zu begraben, da sie von Geheimdienstmitarbeitern gezwungen werden, das Massengrab von Khavaran zu nutzen, in dem in den 1980er Jahren Hunderte von politischen Gefangenen begraben wurden. Die Mutter eines fünfjährigen Mädchens, die sich bei den Behörden darüber beschwerte, dass ihre Großmutter auf dem Khavaran-Friedhof begraben wurde, wurde kürzlich verhaftet und zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Das brutale Vorgehen erinnert an den August letzten Jahres, als es allein in einem Monat zu über 300 Verfolgungsmaßnahmen gegen die Baha’i kam.
„Die iranische Regierung hat die beispiellose weltweite Unterstützung für die Bahá’í-Gemeinde nach der Kampagne ‚Our Story Is One‘ sowie die Bemühungen der Bahá’í-Gemeinde, zur Einigkeit aller Gruppen aufzurufen, gesehen und versucht nun verzweifelt, die Gemeinde auszulöschen, indem sie ältere und kranke Menschen ins Visier nimmt und ihre Verfolgung verstärkt,“ fährt Jascha Noltenius fort. „Wenn der Iran aus den Grausamkeiten der letzten 40 Jahre etwas lernen kann, dann, dass sich seine fortgesetzte Verfolgung der Bahá’í als kontraproduktiv erwiesen hat, indem sie das Bewusstsein für die Lage der Bahá’í weltweit schärfte, eine stärkere Solidarität zwischen der Bahá’í-Gemeinde und der breiten Bevölkerung im Iran schuf und der internationalen Gemeinschaft die Unschuld der Bahá’í angesichts der unerbittlichen Unterdrückung bewies.“
Eine Verfolgungswelle nach der anderen
Die Verfolgung der Bahá’í in den letzten Wochen hat sich über den ganzen Iran verteilt, in den Städten Teheran, Isfahan, Shiraz, Karaj, Kerman, Khaemshahr, Rasht und in anderen. Alle in den letzten Wochen verhafteten, verurteilten, inhaftierten oder anderweitig verfolgten Bahá’í wurden aus harmlosen Gründen ins Visier genommen, etwa weil sie Musikschulen oder andere kulturelle oder erzieherische Aktivitäten betrieben, die Bahá’í-Gemeinde in grundlegenden seelsorgerischen Belangen unterstützten oder weil sie ihren Lebensunterhalt sichern wollten.
Drei Bahá’í wurden inhaftiert, weil sie die Gemeinde in Teheran bei der Beerdigung ihrer Angehörigen auf einem Bahá’í-eigenen Friedhof in der Stadt unterstützt hatten. Die Internationale Bahá’í-Gemeinde berichtete bereits, dass die Bahá’í in Teheran daran gehindert wurden, ihren eigenen Friedhof zu benutzen, nachdem ein Agent des Geheimdienstministeriums ihn beschlagnahmt und seine Benutzung verhindert hatte.
Mehrere Bahá’í in der Provinz Gilan wurden zu Haftstrafen verurteilt, während Sicherheitsbeamte in die Wohnungen weiterer Personen eindrangen und ihre Mobiltelefone und Computer beschlagnahmten, während sie sie zu Unrecht beschuldigten, durch die Nutzung sozialer Medien „Propaganda gegen das Regime“ zu verbreiten. Ein junger Mann, der aus dem Gefängnis heraus eine Erklärung abgab, in der er über körperliche und seelische Misshandlungen im Gefängnis und die Vorenthaltung seiner Rechte berichtete, wurde zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt.
Viele der Verhafteten wurden lange Zeit in Sicherheitseinrichtungen inhaftiert, oft in Einzelhaft und ohne ein ordentliches Verfahren. Eine junge Mutter verbrachte sechs Monate ohne Anklage hinter Gittern, und ihr wurde die Wahl eines Anwalts verweigert.
Eine Reihe von Bahá’í wurde während ihrer Haft entweder zu exorbitanten Kautionssummen verurteilt oder erhielt hohe Geldstrafen, Reiseverbote und interne Verbannung.